KOMMENTARE
: Torys in Bedrängnis

■ Gesundheitsreform führte zu Wahlniederlage

Kaum haben die britischen Konservativen das Thema Kopfsteuer halbwegs überstanden, da setzen sie sich mit der „Gesundheitsreform“ ein neues Ei ins Nest: Am Donnerstag erhielten sie die Quittung für den ohnehin schon desolaten Zustand des Gesundheits- und Bildungsbereichs. Premierminister John Major geht ein politisches Risiko ein, indem er seine Stammwähler immer mehr verärgert: Die Gesundheitsreform betrifft auch die Tory-Anhänger, und die neue Gemeindesteuer, die die Kopfsteuer 1993 ablösen soll, geht vor allem auf Kosten der Tory-Hochburgen in Süd-England. Die Labour Party kann dennoch nicht vollauf zufrieden sein, da sie laut landesweiter Trendmeldungen trotz der tiefen Rezession in Großbritannien bisher offenbar nicht den Umschwung zu ihren Gunsten herbeiführen kann, der notwendig ist, wenn die Partei nach den kommenden Parlamentswahlen die Regierung stellen will. Obwohl Kinnock die Labour Party von linkem Gedankengut gesäubert hat, gilt er bei den WählerInnen nach wie vor als unentschlossen und eitel.

Sowohl Labour als auch die Konservativen drängen in die Mitte — eine Position, die die Liberalen Demokraten jahrelang allein besetzt hatten. Das kam der Partei bei den Nachwahlen in Monmouth jedoch nicht zugute: Die Liberalen, bisher das „Sicherheitsnetz“ für unzufriedene Tory-WählerInnen, konnten ihren Erfolg bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen nicht wiederholen. Auch bei Parlamentswahlen wird ihr Stimmanteil stagnieren, weil ihr kommunaler Höhenflug viel zu sehr auf lokalen Themen beruhte, die bei Landeswahlen keine Rolle spielen. Allerdings haben sie sich als dritte Kraft in Großbritannien etabliert und werden ihre Abgeordnetensitze bei den Parlamentswahlen behaupten.

Der wirtschaftliche Aufschwung im Herbst, auf den die Torys hoffen, ist ein Luftschloß. Es ist fraglich, ob die WählerInnen den Konservativen noch einmal die Floskel abnehmen, daß der Aufschwung vor der Tür stehe. Doch auch die Labour Party ist keine Alternative mehr: In vielen Bereichen hat sich die Partei als die besseren Torys erwiesen, z.B. während des Golfkriegs, als Kinnock den Premierminister mühelos rechts überholte. Wozu also wählen, wenn die drei Parteien die Mitte für sich beanspruchen? Zu hoffen ist auf eine Pattsituation nach den Wahlen: Dann könnten die Liberalen in einer Koalition ihren Partner zwingen, die proportionale Repräsentation einzuführen. Vielleicht bringen andere Parteien wie die Grünen, die bei dem augenblicklichen Wahlsystem chancenlos sind, frischen Wind in die britische Politik. Ralf Sotscheck