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Für gute und für schlechte Tage

„Blaubart“ von Trakl und Lievi in Wien — Notizen nach einer Probe  ■ Von Tanja Neumann

Es gibt Dinge im Leben, die möchte man aufnehmen und in sich verwahren. Man möchte sie in einem Kästchen verschließen, das man zu gegebener Zeit öffnet, um sie ganz für sich allein noch einmal zu genießen. Ein solches Kleinod für gute und schlechte Tage ist die Inszenierung von Georg Trakls Fragment Blaubart, die Cesare Lievi im Bühnenbild seines im letzten Jahr verstorbenen Bruders Daniele Lievi dichtete — anders kann man diese einstündige Arbeit für den Lusterboden des Wiener Burgtheaters kaum nennen.

In einen kleinen, schwarz ausgekleideten Raum geführt, schaut man auf einen Ausschnitt der Bühne, der sich im laufe der Zeit öffnen und schließen, verschieben und teilen, vergrößern und verkleinern wird: wie in einem Puppentheater, für das Trakl sein Fragment konzipiert hat. Das erste Bild — es sind achtundvierzig wechselnde, ineinander übergehende Bilder — zeigt einen jungen und einen alten Mann. Sie sitzen an einem Fenster und sprechen über die Hochzeit Blaubarts, und man weiß nicht, ob sie sie vielleicht nur vor einem inneren Auge sehen. Denn alles an Trakls Blaubart ist wie ein Traum. Eine Phantasie über das Erwachen der ersten Liebe, die Unerträglichkeit des unbekannten Gefühls, das den jungen Herbert in den Selbstmord treibt; ein Alptraum über den Zwang zur Wiederholung und die Tragödie, wenn einer die Metaphern beim Wort nimmt und Lieben mit Töten in eins nur setzen kann.

Ein kleiner Ausschnitt. Ein Händepaar mit einem Strauß roter Blumen. Die Hände liebkosen die Blüten, spielen mit den Stengeln, zerreißen sie. Dunkel, Musik, ökonomisch eingesetzt, Licht, ein Fenster. Gerten erscheinen, tanzen, der Kopf der Braut, Elisabeth, taucht langsam hoch, wie in Wasser, langsam beugt sie sich heraus, ein fliehender Engel, der sich den Dolch in den Mund steckt. Ein neuer Ausschnitt, eine andere Musik, die untere Hälfte der Braut, wiegend auf das Fenster zu, in das wir blicken, ihr helles Kleid, ihr Schleier, ihre Silhouette schwingen, wir sehen ihre Füße, nackt, die genauen kleinen Bewegungen, bis sie ganz nah ist. Männerhände kommen ins Bild, greifen, kosten, tasten ihre Füße entlang nach oben, zugleich den Schleier knüllend, die Hochzeitsnacht: in einer schnellen Bewegung wird der Schleier herabgerissen.

Einfache Symbole, einfache Bilder. Der kurze schwermütige Text Trakls — „Was ist's, das mein Herz so brennen macht/ Und tausend Stimmen leiht die Nacht!“ — wird wieder und wieder aufgenommen, eine Lektüre, die von Zeile zu Zeile wandert, einzelne Worte neu aufnimmt, die dank der Bildersprache eine immer neue Sinngebung erhalten. Wiederholung, die keine ist, das geduldige Vorgehen, das immer neue Umschreibungen für das Gelesene findet.

Immer wieder die Ausgangssituation, der Alte mit dem Jungen am Fenster, bis der Text diese Ebene verläßt und nur noch Blaubart und Elisabeth folgt: der Lust, der Furcht, dem Glück und dem Entsetzen der ersten Annäherung. Hinten stehen sich ein Mann und eine Frau gegenüber — „Komm Lieber! Feuer fließt in meinem Haar/ weiß nimmer, nimmer, was gestern war“ —, vorne zeigen die anderen beiden Frauen, was sich in der dritten abspielt: das Beben, der aufgerissene Mund, die Ungeduld — „Möcht nackend in der Sonne gehn,/ Vor aller Augen mich lassen sehn“. Die Stimmen kommen manchmal aus dem Off, die Schauspieler wechseln von der organischen in eine mechanische Bewegung über, was ihre Gesten intensiviert und Zeit zum Sehen der minutiösesten Körpersprache und Mimik gibt. Das Verwunderlichste: der Raum, den die Ausdruckskraft der (überwiegend sehr jungen) Schauspieler durch die Stilisierungen — und nicht gegen sie — gewinnt. Das Bühnenbild und eine subtile Lichtführung eröffnen immer neue Räume, einen immer anderen Blick auf die Situation; goldene Wände, in denen sich die Figuren spiegeln, ein Spalt im Boden, Fenster immer anders, und einmal, zu Schuberts Trio Fontana rosa, ein ganzer Wald: Bäumchen aus Pappmachée schieben sich von rechts und links in Reihen hintereinander zur Mitte, die Braut wandert im Rhythmus mit der Musik zwischen ihnen. Riesengroß wirken ihre Beine, die man — dank des Ausschnitts — nur bis zu den Knien sieht. Frühlingserwachen auf ihrem Weg zu Blaubart.

Eine neue Ebene dahinter wird licht; größere, dabei entferntere Bäume tauchen auf. Etwas Amüsantes, Witziges liegt in dieser Szene, in der vollkommenen Illusion, die sich nicht den Anschein geben will, etwas anderes zu sein. So stört es bei der vorletzten Probe auch kaum, daß Cesare Lievi sich vom Zuschauerraum aus plötzlich in den Ausschnitt beugt, um einen Papierfetzen von einem der Bäumchen zu entfernen.

Blaubart in einer goldenen Maske liebt den Schleier, tötet ihn mit dem Dolch — Vorwegnahmen, Ahnungen des Textes werden so übersetzt, in einer Nachdichtung mit den Mitteln der Bühne. Jedes Element in dieser Inszenierung ist gleichwertig, alles ist einfach und durchdacht, zugleich schlicht und facettenreich, die gesprochene Sprache wie die der Körper, das Licht- und Raumspiel wie die Musik oder das Vogelzwitschern, die Expressivität der Spieler wie die Abstraktion eines poetischen Fragments.

Es ist selten, daß im Theater die Zeit still zu stehen scheint, und man zugleich ihr unentrinnbares Verstreichen fühlt; daß man wünscht, es ginge immer weiter und zugleich, es hielte an, um ganz genau zu sehen, zu hören, zu begreifen.

Ein Engel muß bei dieser Inszenierung mitgewirkt haben.

Blaubart — Ein Puppenspiel , Fragment von Georg Trakl. Inszenierung: Cesare Lievi, Bühnenbild und Kostüme: Daniele Lievi, Ausführung: Peter Laher, Lichtdesign: Gigi Saccomandi. Mit Thomas Clemen, Herbert Kucera, Inga Hartl, Mia Hasper, Felicitas Kielinger, Alexander Rossi. Im Lusterboden des Burgtheaters, Wien. Nächste Aufführungen: 26.-31. Mai, im Juni.

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