: Wenn man Nostalgie zur Waffe macht
■ In einer Schule trauerte die PDS alten Zeiten nach/ Kaum Probleme mit Adolphis Stasi-Vergangenheit
Kreuzberg. Die Fotos sind in schlichtem schwarz-weiß, der Titel des Buchs ist Programm. »Olle DDR« — so liebevoll ist der Bildband betitelt, den die Delegierten des PDS-Parteitages an einem Büchertisch vor dem Sitzungssaal erwerben können, wenn sie in den Tagungspausen mal wieder von der Nostalgie gepackt werden. Das passiert offenbar öfter: Das Buch ist ein Renner.
Die DDR war oll, sie glänzte nicht bunt, sie hatte viele Fehler, aber irgendwie hatte man sie doch schrecklich lieb. Ein Delegierter nach dem anderen tritt an das Mikrofon und bekennt: »Das war doch mein Staat.« Ihn wollte man doch nur beschützen — mit der Arbeit für die Stasi, mit dem Dienst an der Partei. Und außerdem, sagt ein alter MfS-Mann, waren auch die westlichen Geheimdienstleute »keine Chorknaben«.
Eigentlich sollten die 240 Delegierten über den Fall ihres Parteichefs Wolfram Adolphi diskutieren, der nach langem Leugnen zugegeben hatte, für die Stasi Berichte geschrieben zu haben. Doch für die Delegierten geht es um mehr, Andrej Hermlin spricht es offen aus: »Man sollte nicht behaupten, es gäbe ein Problem Adolphi, es gibt auch kein Problem Staatssicherheit«, warnt er, »es ist die DDR und die Tragödie, daß wir sie verloren haben.« Wie will man den Rücktritt des eigenen Parteichefs fordern, wenn man dann sich selbst die gleiche oder größere Schuld attestieren müßte? Der Abgeordnete Norbert Pewesdorff, der vor den Delegierten selbst ein Stasi-Bekenntnis abgelegt hat, bemüht sogar das Neue Testament: »Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet«.
Freilich gibt es da ein kleines Problem, Gregor Gysi spricht es in seiner Rede an: Die PDS ist nicht nur eine Partei der Täter, sondern auch eine der Opfer, nicht nur eine Partei der alten Staatsdiener, sondern auch die einiger staatskritischer Linken aus dem Westen. Und es gibt auch einige Reformer, die aus den Fehlern ihrer SED-Vergangenheit Konsequenzen ziehen wollen: Sie üben sich in ernsthafter Selbstprüfung, hinterfragen ihre Rolle im System der DDR. Thomas Nord, heute Landesgeschäftsführer und früher FDJ- und SED-Funktionär, leidet selbst an der »Verweigerung zu diskutieren«, die er in der PDS beobachtet, an der »Verleumdung ganz im alten SED- Stil«, die diejenigen ertragen müßten, die Ehrlichkeit und Aufarbeitung verlangten.
»Nostalgie kann eine gefährliche Krankheit sein«, sagt Marion Seelig, die als Mitglied der Vereinigten Linken in der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus sitzt. Bitterer als noch vor zwei Wochen beklagt sie die »Verharmlosung« und das »mangelnde Unrechtsbewußtsein« in der PDS, immer wieder diese Reden vom »Kalten Krieg« und davon, »alle hätten nur das Gute gewollt«.
Die versprengten Westlinken weisen auf den politischen Schaden hin, den Adolphi der Partei zugefügt habe. »Adolphi hat auch uns belogen«, sagt ein junger Spandauer Genosse. Harald Wolf, früher bei der AL, attestiert dem Parteichef einen »gewaltigen politischen Dilettantismus«. Die Glaubwürdigkeit der Partei sei zerstört und »alle Vorurteile über sie bestätigt«.
Aber sind das nur Vorurteile? »Diese sozialistische Gesellschaft war noch tausend mal fortschrittlicher, als das, was ich jetzt erlebe«, ruft eine Rednerin und bekommt dafür viel Applaus. Ein aus Westdeutschland stammender Köpenicker Delegierter wird ausgebuht, nachdem er zwischen Adolphis Stasi-Berichten aus China und dem Massaker am Tiananmen einen Zusammenhang hergestellt hat. Als Seelig anmahnt, man müsse »auch mal die Befindlichkeit der Opfer ins Gespräch bringen«, da rühren sich nur zwei, drei Hände.
»Mindestens zwei Parteien« lebten in der PDS miteinander, merkt Gysi an. Von der drohenden »Spaltung« ist oft die Rede. Auch Adolphi fördere die Polarisierung, indem er den Parteitag über sein Schicksal entscheiden lasse, klagen die Reformer. Besser wäre es, Adolphi würde von selbst zurücktreten, meint Patrice Poutrus vom Bundesvorstand der Partei. Das sagt er freilich nicht ins Mikrofon und auch Gregor Gysi deutet einen solchen Wunsch nur so gewunden an, daß ihn nur einige Reformer heraushören. Adolphi selbst merkt nichts. Noch im Landesvorstand hatte er angekündigt, nur bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit weiter zu amtieren. Auf dem Parteitag gibt er sich schon mit der absoluten Mehrheit zufrieden. Aber seine Vorsicht ist unbegründet. Mehr als zwei Drittel der Delegierten sprechen Adolphi das Vertrauen aus, ein knappes Drittel stimmt mit Nein. Es gibt nur eine Enthaltung. Und die stammt wohl vom Parteichef selbst. hmt
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