: Mordvorwürfe gegen Carlebach
Der Kommunist wehrt sich gegen Behauptungen eines Mithäftlings in Buchenwald ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — „Ich glaube gern, daß Carlebach direkt sieben Menschenleben auf dem Gewissen hat, ich selbst weiß von zwei.“ Das schrieb Benedikt Kautsky, Sohn des Schriftstellers Karl Kautsky, 1951 in einem Brief an Margarethe Buber-Neumann, Witwe des 1937 in der UdSSR verhafteten und ermordeten Spitzenfunktionärs der KPD, Heinz Neumann. In einer eidesstattlichen Versicherung erklärte Kautsky 1951, daß Carlebach im KZ Buchenwald die „vorsätzliche Tötung von zwei polnischen Juden veranlaßt“ habe. Der von der Sowjetunion an Nazideutschland ausgelieferte Kommunist Kautsky und der Kommunist Carlebach waren beide Häftlinge in Buchenwald. Weil der österreichische Historiker Hans Schafranek in seinem 1990 erschienenen Buch Zwischen NKWD und Gestapo diese Passage aus dem Brief Kautskys und aus der eidesstattlichen Versicherung zitiert hat, trafen sich der Autor, ein Verlagsvertreter und der greise Kommunist Carlebach gestern vor den Schranken des Frankfurter Landgerichts. Carlebach hatte im Januar 1991 Klage auf „Unterlassung“ sowohl gegen den linken Verlag als auch gegen den Historiker Schafranek erhoben. Insbesondere fordert der Publizist Carlebach die Unkenntlichmachung von drei Passagen des Buches — und Schmerzensgeld „wegen der Ungeheuerlichkeit des Mordvorwurfs“. In Schafraneks Buch über die Auslieferung von Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland geht es nur am Rande um die Rolle Carlebachs im KZ Buchenwald. Der Autor war bei Recherchen auf den Namen Carlebach gestoßen, weil der in den Jahren 1949/50 im KPD-Organ 'Sozialistische Volkszeitung‘ (SVZ) „Schmutzkübel“ über der von Stalin liquidierten Führung der Roten Armee ausgegossen habe und die vor den Nazis in die UdSSR geflohene Margarethe Buber-Neumann beschuldigte, Hitlers „fünfter Kolonne“ angehört zu haben. Während der Verhandlung vor dem Landgericht widersprach Carlebachs Rechtsanwalt vehement der These von Kautsky und anderen, daß es in Buchenwald eine illegale kommunistische Lagerleitung gegeben habe und Carlebach Mitglied dieser „Lagerfeme“ gewesen sei, „in deren Hand es lag, Menschen umzulegen oder mit Hilfe des berüchtigten Dr. Hoven abspritzen zu lassen“. Bislang seien die „Gegner von Carlebach“ jeden Beweis für ihre „abstrusen Thesen“ schuldig geblieben. Ein Rechtsstreit mit dem 'FAZ‘-Redakteur Gillersen, der seine Anschuldigungen gegen Carlebach nicht mit Dokumenten untermauern konnte, endete mit einem Vergleich. Dem Gericht ging es gestern bei der Urteilsfindung allerdings nicht um die Klärung der Vorgänge im KZ Buchenwald, sondern um die Frage, ob ein Autor aus historischen Dokumenten zitieren darf, ohne zuvor deren Glaubwürdigkeit einer genauen Prüfung unterzogen zu haben — ein Vorwurf der Klägerpartei, den Schafranek zurückwies. Das Landgericht will am 29. August einen Beschluß in der Sache Carlebach gegen Schafranek/ISP-Verlag verkünden.
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