: Von Bürokraten gejagt
Die Vorgeschichte eines gescheiterten Films: Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“ um 23.50 Uhr auf RTLplus ■ Von Herrn Dittmeyer
Die Mehrzahl der Kritiker war sich einig: Das Schlangenei, Ingmar Bergmans erster außerhalb Schwedens gedrehter Spielfilm, geriet ihm nicht gerade zum Meisterwerk. Trotzdem nimmt das Werk in Bergmans Oeuvre eine Sonderstellung ein, denn jene berühmte Steueraffäre, die 1976 über sein Heimatland hinaus für Schlagzeilen sorgte, hatte direkten und indirekten Einfluß auf Entstehung und Gestaltung dieses Werkes.
Bergman befand sich mitten in den Proben zu Strindbergs Totentanz, als zwei Polizeibeamte in Zivil im Stockholmer Theater einen spektakulären Auftritt inszenierten. Sie nahmen den Regisseur fest und verbrachten ihn zum Präsidium der Steuerfahndung, wo er drei Stunden lang verhört wurde. Anschließend mußten der prominente Delinquent und sein Anwalt ihre Reisepapiere abgeben.
Den Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten lieferte ein gescheitertes Projekt aus dem Jahr 1967. Damals hatte Bergman gemeinsam mit Federico Fellini in der Schweiz eine Produktionsgesellschaft gegründet, die, nachdem der geplante gemeinsame Film nicht zustande gekommen war, ordnungsgemäß liquidiert worden war. Die schwedischen Behörden indes vermuteten hinter der schweizerischen „Persona AG“ eine Scheinfirma, installiert allein zum Zwecke der Steuerhinterziehung. Die rigorose Behandlung durch die Polizeibeamten nahm den sensiblen Künstler derart mit, daß er drei Tage nach dem Verhör zusammenbrach und ins Kranknehaus eingeliefert werden mußte. Erwartungsgemäß wurden sämtliche Vorwürfe zurückgenommen, doch Bergman blieb im Blickfeld der Fahnder, und die stießen prompt auf eine andere Unregelmäßigkeit: Der in geschäftlichen Dingen unerfahrene und wohl auch ein wenig ungeschickt operierende Bergman hatte die unverhofft hohen Erträge der Filme Schreie und Flüstern und Szenen einer Ehe unverzüglich seiner Produktionsfirma Cinematograph zugeführt, um die Weiterbeschäftigung freiberuflicher Mitarbeiter zu sichern und einigen von ihnen die Verwirklichung eigener Projekte zu ermöglichen. Strenggenommen hatte sich Bergman dadurch der Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Damit hing er am Haken und sah sich von seiten der Ermittler mit einem fadenscheinigen Angebot konfrontiert: Bei stillschweigender Zahlung der zuvor erhobenen Nachforderung von geschätzten 2,5 Millionen Kronen sollten im Gegenzug die neuerlichen Untersuchungen eingestellt werden.
Bergman tat nichts dergleichen, sondern trat die Flucht nach vorn an: Am 22.April veröffentlichte die Tageszeitung 'Expressen‘ einen Artikel, in dem er die Dinge aus seiner Sicht schilderte und geheime Deals jeder Art rundheraus ablehnte. Heftig attackierte er die Bürokraten des Wohlfahrtstaates, die er mit einem „fortschreitenden Krebsgeschwür“ verglich und kündigte an, sein Unternehmen zu schließen.
Einen Tag später verließen Bergman und seine Frau ihr Heimatland und begannen eine Odyssee durch europäische und US-amerikanische Hotels. In München schließlich wurden sie heimisch und bezogen ein Apartment, denn hier sollte Bergman für den Produzenten Dino de Laurentiis Das Schlangenei realisieren, ein Filmprojekt, an dem er bereits in Schweden gearbeitet hatte.
Das Schlangenei spielt in der Woche vom 3. bis 11.November 1927; Ort der Handlung ist Berlin. Die Inflationsrate erreicht Rekordhöhen; die wirtschaftliche Situation ist desolat. Die allgegenwärtige Not führt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in München versucht Hitler einen Putsch, in der jungen Republik regiert das Chaos. In dieser angespannten Situation wird der amerikanisch-jüdische Artist Abel Rosenberg (David Carradine), nachdem er den Behörden den Selbstmord seines Schwagers angezeigt hat, als Urheber einer Serie bestialischer Morde verdächtigt. Seine traumatischen Erlebnisse in den Mühlen der Justiz erinnern nicht von ungefähr an die Werke Kafkas.
Als kafkaesk empfand auch Ingmar Bergman die Situation, von den Staatsorganen seines Landes verfolgt zu werden. Die düstere, pessimistische Atmosphäre dieses Films spiegelt Bergmans Empfindungen wieder. Abel Rosenberg erlebt polizeiliche Willkür, Heimatlosigkeit und Entfremdung, eben das, was auch Bergman erduldet zu haben glaubte. Der Regisseur machte keinen Hehl aus diesen Bezügen; als deutlichen Hinweis gab er einer der Filmfiguren den Namen seines Stockholmer Anwalts.
Leider inszenierte Bergman den Totentanz der Weimarer Republik als einen schwindelerregenden Taumel der Verbrechen, Laster und Begierden, in dem jegliche Spitzfindigkeiten förmlich zermalmt werden. Plakative Bildlösungen, Effekthaschereien und kolportagehafte Elemente bestimmen den Film und überfrachten ihn. Dennoch gibt die ungewöhnliche Vorgeschichte dieser Regiearbeit Anlaß genug, zwischen den bis zur Geschmacklosigkeit, ja Monströsität getriebenen Überzeichnungen, die Das Schlangenei zu einem schlechten Film machem, nach Chiffren zu fahnden, die Bergmans persönliches Anliegen transportieren.
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