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Gorleben-Blockade zerschlagen

Polizei traktierte BlockiererInnen mit Knüppeln und Fußtritten/ AKW-GegnerInnen beim Abtransport gewürgt/ Polizeisanitäter verweigerten Hilfeleistung/ BI-Sprecher Ehmke fordert Konsequenzen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Um Viertel nach Zwölf fuhren gestern die beiden letzten Sattelschlepper mit Atommüllcontainern durch das hintere Tor auf das Gorlebener Zwischenlagergelände. Doch was sich in den drei Stunden zuvor vor diesem Tor abgespielt hatte, das hatten die dreihundert Gorleben-BlockiererInnen von der rot-grünen Landesregierung wahrlich nicht erwartet. „Die Polizisten haben mit Stiefeln getreten, sie haben geschlagen und auch Hunde eingesetzt. Das war alles andere als die angekündigte gewaltfreie Räumung“, empörte sich BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Von einem „absolut bescheuerten und üblen Polizeieinsatz“ sprach auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann, der vor Ort vergeblich versuchte, die Polizisten zu mäßigen.

Angefangen hatte die Räumungsaktion allerdings noch so zivil, wie gestern vom Umweltministerium in Hannover angekündigt. Als gegen neun Uhr der Polizeikonvoi mit den drei Sattelschleppern von Lüchow auf dem Weg zum Zwischenlager war, errichteten die BlockiererInnen bei strömendem Regen Sperren aus Stangenholz auf der Kreisstraße nach Lüchow und auf einem weiteren Zufahrtsweg. Völlig abgerüstet, ohne Schlagstöcke, Waffen oder Helme, tauchten danach die ersten Polizisten am hinteren Tor des Zwischenlagergeländes auf, das ansonsten als Baustellenzufahrt für die Pilotkonditionierungsanlage dient. Die etwa hundert AKW-GegnerInnen, die sich dort zur Sitzblockade niedergelassen hatten, wurden weggetragen und manchmal auch zur Seite geschleift. Die wenigen Fahrzeuge, drei Traktoren und ein LKW, die dieses Tor blockierten, fuhren die DemonstrantInnen sogar freiwillig zur Seite.

Gegen zehn Uhr näherten sich von Gorleben her die drei Atommülltransporter, die durch diesen Umweg die Straßensperren umfahren hatten. Sie stoppten dann allerdings aus unerfindlichen Gründen etwa fünfhundert Meter vor dem Tor zum Zwischenlager. Diese Situation nutzten die blockadeerfahrerenen AKW-GegnerInnen aus dem Wendland: Sie umgingen durch den Wald die Polizeisperren und setzten sich direkt vor und unter die stehenden Atommülltransporter. Dabei wurden dem ersten Sattelschlepper auch noch die Bremsleitungen durchgeschnitten. „In diesem Moment kam bei der Polizei der völlige Umschlag. Die fünf Hundertschaften haben dann nur noch kopflos, hektisch und leider wieder mal sehr brutal reagiert“, schildert BI-Sprecher Wolgang Ehmke das „Umkippen des Einsatzes“.

Von diesem Zeitpunkt an trat die Polizei auch in Kampfmontur auf. Hunde kamen zum Einsatz, die BlockiererInnen wurden mit Knüppeln traktiert. Polizisten traten nach unter den LKWs liegenden AKW-GegnerInnen. BlockierInnen wurden beim Abtransport übel gewürgt. Zahlreiche AKW-GegnerInnen erlitten nicht nur Prellungen, drei von ihnen wurden sogar am Kopf oder im Gesicht blutig geschlagen. Vor den manövrierunfähigen Sattelschlepper wurde schließlich ein Polizei-LKW gespannt, doch alle drei Transporter kamen auch danach nur stückweise voran, weil sich immer wieder AKW-GegnerInnen in den Weg setzten. Etwas mehr Ruhe kehrte auf Seiten der Polizei dann erst wieder ein, als die letzten beiden Transporte nicht mehr weit vom Tor entfernt waren.

Über „die absolut üblen Übergriffe der Polizei“ war der grüne Abgeordnete Hannes Kempmann dermaßen aufgebracht, daß er sich per Funktelefon direkt beim gerade tagenden rot-grünen Landeskabinett beschwerte. Weil sich die Polizeisanitäter weigerten, verletzte AKW- GegnerInnen zu behandeln, spricht Kempmann sogar von „unterlassener Hilfeleistung durch die Einsatzkräfte“. „Dieser katastrophale Einsatz muß Konsequenzen haben“, fordert Kempmann. „Weitere Transporte dieser Art nach Gorleben kann sich die rot-grüne Landesregierung nicht leisten.“ Auch der Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg sagte nach dem Einsatz: „Dies alles muß ein Nachspiel haben. Wenn das der Stil von Rot-Grün ist, dann sind wir bei Atomtransporten in keiner besseren Situation, als unter der Regierung Albrecht.“ Vom Innenministerium in Hannover erwartet BI-Sprecher Ehmke nun „eine Erklärung für diesen Polizeieinsatz“.

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