: Kunst, wenn es Abend und festlich wird
■ Zur Ausstellung »Nichts und« in der Galerie Sonne
Die Ausstellung in der Galerie Sonne bringt auf ungeahnte Weise versteifte Vorstellungen über Kunst zum Tanzen und zeigt durch perfekte Inszenierung die Sackgasse, in die sich eine Richtung der Kunst in den 80ern hineinmanövriert hat. Denn die Besonderheit dieser Ausstellung liegt darin, daß die Präsentation des Galeristen selbst als Kunstwerk zu fassen ist. Einzelarbeiten verschiedener KünstlerInnen werden von ihm in ihrer offenen Komplizität zum Markt herbeizitiert. Nach dem Vorbild einiger New Yorker Galeristen scheint er sich offensiv auf eigene ästhetische Vorstellungen zu besinnen und seine Funktion und Stellung innerhalb der Kunstwelt ins Rampenlicht zu stellen. Seine Regieausstellung ist von stupender Makellosigkeit und ziemlich ernüchternd.
Beuys, Bidlo, Eva/Adele, Sherrie Levine und Nauman sind hier mit weitestgehend politischen Arbeiten vertreten, insofern sie so konzipiert sind, »daß sie jeder machen könnte« (Peter Halley). Sie stehen im Gegensatz zu Warhols, Graubners, Richters, Mapplethorps Bildern, die sich konventionell und traditionsgerecht am Handwerk, individuellen Können und dem Künstlerpathos orienterieren. Beuys schrieb eine Notiz auf einen zerknitterten Zettel, Bidlo ließ ein Pissoir in die Galerie liefern und gab ihm den Titel »Not Duchamp«. Eva/Adele ließen von sich ein Polaroid knipsen und plazierten es hübsch gerahmt auf einer blaugesprayten Säule; Levine kopierte Matisse. Das kann jeder und haben viele schon gemacht — als Geschenk an Freunde. Im Kontext einer Galerie gewinnen aber die alltäglichsten Gesten anderes Gewicht. Wir sind am Ort der guten schönen Ware Kunst.
Um als politische Idee wirksam und beglaubigt zu werden, müssen diese Arbeiten deshalb von wenigstens einem einflußreichen Sammler gekauft werden. Erst durch diese offizielle Akzeptanz kann das Objekt dann in den Institutionen flottieren. Die Arbeiten bewegen sich im Schatten großer Vorbilder und peilen derart auf eine sensible Stelle im Kunstsystem, daß sich ihr ästhetisches Kalkül erst durch Weitergabe ganz erfüllt: Die Marktorientierung peilt auf die Marktsanktionierung. Sie unterscheiden sich selbstverständlich deutlich von Kunstmarktkunst, die lediglich auf bereits vorhandene Käuferinteressen spekuliert. Denn sie erschließt der Kunst Materialien, Anordnungen, Themen, Artikulationsweisen, die nicht umstandslos in den Kanon nobilitiert werden, zweitens den Markt als elementaren Bestandteil bereits in der Konzeption miteinschließen und damit drittens den Blick für eine Wirklichkeit öffnen, die in der kulinarischen, beschränkt kunstinternen Betrachtung ebenso wie in der strikt philosophischen mit Präzision außer Acht gelassen wird.
Diese Kunst hat keine gesellschaftspolitische Botschaft: weder enthüllt sie, noch hat sie eine »Meinung« zum Kunstmarkt oder anderes. Sie ist politisch durch Machart, Referenz und den Kontext, in dem sie erscheint, einfach weil sie mit gleichsam »Nichts und...« Namen das Kunstsystem auf die Probe stellt. Subversive Affirmation ist ein starker Begriff — man könnte ihn vorläufig dafür verwenden. Denn Marktakzeptanz und ästhetisches Valeur fallen in eins: daraus resultiert eine potentielle Kunst, die weder elitär ist, noch priviligiertes Wissen voraussetzt. Sie kann von jedem gemacht, von jedem verstanden, wenn auch nicht von jedem gekauft werden.
Es geht dabei weniger um das einzelne Werk als um das System, an das es angeschlossen ist. Siebzig Jahre nach Duchamps »Fontaine« sieht ein Pissoir noch immer wie ein Pissoir aus. Wenn es aber exponiert inmitten eines Galerieraums liegt, hat es fast jede Assoziation an sanitäre Anlagen verloren. Man sieht es an wie eine Skulptur des namenlosen Desingers von »American Standart« oder von »Villeroy & Boch«. Der Skandal von einst ist nun eine Banalität. Duchamps Geste, die Kontextverschiebung, war gegen Atelierkunst, Geniekult, Originalitätsdiktate und Sammlerkunst gerichtet. Die Wiederholung dieser Geste ist ohne polemische Kraft. Das Objekt als solches nimmt die Geste sogar zurück, denn es figuriert mittlerweile unter dem Begriff Objektkunst und ist ein Galerienhit, erfreut Sammler, ist originell und smart, lebt von Geistesblitzen und wird planmäßig in den Kunsthochschulateliers auf den Markt vorbereitet. Daher hat Bildo mit »Not Duchamps« ein listiges Adieu erstellt und ihn aus der Art Deco-Abteilung verabschiedet. Das Ready Made ist ein Fetisch und Objekt genießender Betrachtung geworden und steht unter Theorie- und Denkmalschutz; gesichertes Terrain also.
Dies bestätigt ebenso die ästhetische Anordnung in den Galerieräumen. Die Einzelarbeiten sind in genau bemessenem Abstand harmonisch und bruchlos aufeinander bezogen. Das Disparate (z.B. von Beuys oder Nauman's Arbeit) wurde durch einen vereinheitlichenden Blick ausgetrieben. Wo Einzelnes sich der Unterordnung widersetzt, ist es durch einen imponierenden Rahmen mit Passe-Partout neutralisiert. So führt die Ausstellung vor, wie man Kunst als Ambiente inszenieren und als Kunst zum Verschwinden bringen kann: es dient als schöne Umgebung. Konsequent wäre es gewesen, die entsprechenden Möbel zu stellen. Oscar Wilde hätte diese optimale Inszenierung gewiß geschätzt. Und sicherlich für »Ambiente« oder »Architektur und Wohnen« besprochen. Auch die Musikberieselung (Bach, Cage) wäre eine Lebensart, die durchgestylte Räume und künstliche Welten schätzt, entgegengekommen. Daher sind Eva/Adele die Schutzengel der Kunst von »Nichts und« Namen. Ihr Polaroid auf blauer Säule erinnert an eine ästhetisch aufgefaßte Wirklichkeit als living sculptures dann, wenn es Abend und festlich wird. Peter Herbstreuth
bis 30. Juni verlängert, Kantstr. 138, 1-12, Di-Fr 11-13, 15-18.30, Sa 11-14 Uhr
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