: Berlin, was nun?
■ Ängste vor einer wild wuchernden Metropole gibt es nicht nur bei Bonn-Befürwortern. Auch die Berliner müssen überlegen, wie sie explodierende Mieten und Planung ohne Bürgerbeteiligung verhindern können. Als Gegengewicht..
Berlin, was nun? Ängste vor einer wild wuchernden Metropole gibt es nicht nur bei Bonn-Befürwortern. Auch die Berliner müssen überlegen, wie sie explodierende Mieten und Planung ohne Bürgerbeteiligung verhindern können. Als Gegengewicht zur Regierungszentrale geht vielleicht die Landesregierung nach Potsdam.
Nicht nur eitel Freude herrscht bei den BerlinerInnen darüber, daß ihr Heimatstädtchen in den nächsten vier bis zehn Jahren zum Regierungssitz ausgebaut wird. Den ersten Wermutstropfen kippte Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein bereits in der Entscheidungsnacht in den Freudenkelch: Die Mieten, natürlich, würden auf Metropolenniveau steigen — nicht nur bei Wohnungen, sondern auch bei Gewerbe, wo sie bereits jetzt explodieren. Dazu werden steigende Verkehrsströme kommen wie auch störende Sicherheitsabsperrungen. Und die heimischen Stadtplaner dürfen demnächst auf einen „besonders gewichtigen Mitbürger“, wie Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer die Bundesregierung umschrieb, Rücksicht nehmen.
Nun bricht in Berlin zunächst weniger ein Neubau- denn ein Umbauboom aus. Denn die Ministerien, der Bundestag und die Bundesregierung hätten zum größten Teil in leerstehenden Regierungsbauten der abgewickelten DDR Platz — etwa im Staatsratgebäude, im Haus der Parlamentarier und auch im Haus der Ministerien, dem alten Reichsluftfahrtministerium, wo sich derzeit die 2.500 Mitarbeiter der Treuhandanstalt breitmachen. Auch mehrere wilhelminische Paläste ständen Unter den Linden zur Verfügung. Dazu kommen der Reichstag sowie einige Büroneubauten im sogenannten Spreebogen am Rand des Tiergartens. Auf die Stadt verteilen werden sich bis zu 26.000 wohnungssuchende Ministerialbeamte und ihre Familien, knapp 9.000 Diplomaten und Mitarbeiter von 123 Botschaften, Vertretungen von 17 Bundesländern und die Mitarbeiter von 550 Verbänden. Dies alles ist in einer Vier-Millionen-Stadt verkraftbar — quantitativ gesehen. Auch wenn die Bannmeile den musealen Teil der Innenstadt permanent lahmlegen wird und sich die Verweilqualität des Tiergartens— Berlins grüne Lunge, Fußballspielplatz, multikultureller Würstchengrill und Schwulentreffpunkt — nicht gerade erhöhen wird. Aber es bedroht wenigerverdienende Einheimische durchaus, wenn eine Schicht zuzieht, die die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt nicht nur finanziell spielend überbietet, sondern für die der hiesige Senat auch einige der geplanten innerstädtischen Wohnungsbauprojekte reservieren wird.
„Die Mischung von verschiedenen sozialen Gruppen in der Innenstadt ist von uns gewollt“, sagt Berlins Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) dazu. Schützen könne man die ärmere Bevölkerung nur durch eine Mietpreisbindung, wie sie der Senat anstrebe. Ob der Regierungssitz die nach sich zieht, darf man bezweifeln. So läuft die derzeitige Berliner Mietenregelung in zwei Etappen, Ende 1991 und 1993, aus. Die Kohl-Regierung zeigte bislang keine Neigung, den Berlinern entgegenzukommen. Und der starke Mieterflügel der SPD ist in Nordrhein- Westfalen beheimatet, dessen Sympathie für Berlin in letzter Zeit ein wenig nachgelassen hat.
Das ist nicht alles: Der Ausbau des Regierungssitzes wird demokratische Verfahrensweisen in der Stadtplanung alles andere als befördern. Denn bereits jetzt werden viele innerstädtische Bauvorhaben nicht nach einem Planverfahren mit Bürgerbeteiligung genehmigt, sondern über Ausnahmeregelungen. Dazu kommt, daß mit dem — noch nicht in Kraft getretenen — Beschleunigungsgesetz Verkehrsverbindungen zwischen Ost und West im Hauruckverfahren geknüpft werden können. Damit könnte man in Berlin vieles genehmigen, was eine Regierung braucht: vom zentralen Fernbahnhof über den Rest des Autobahnstadtrings durch die Innenstadt bis zum Ausbau des Flughafens Tegel.
Aber auch positive Aspekte kann der verkehrspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Michael Cramer, dem Regierungssitz abgewinnen. „Wenn der kommt, wird die Innenstadt zwangsläufig autofrei“, meint er. „Es geht schließlich nicht, daß Genscher auf dem Weg zum Auswärtigen Amt im Stau steckenbleibt.“ Eva Schweitzer
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