piwik no script img

„Perlen für die Säue“ gibt es nur zensiert

Eine Plakataktion, die mit den Mitteln der Kunst Pornographie und Sexismus entlarven will, wird selbst als sexistisch und pornographisch zensiert/ Der Comic über sexuellen Mißbrauch verletzt angeblich das Schamgefühl der BetrachterInnen  ■ Von Bascha Mika

Berlin (taz) — „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (GG, Art. 5,3).

„Wer pornographische Schriften, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben, 1) verbreitet, 2) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“ (184, StGB).

Frei ist die Kunst — solange sie niemandem weh tut. Und weh tut's immer dann, wenn es ans Eingemachte bzw. ans Gemächte geht. Nackte Busen und Ärsche zuhauf, aber wehe, es vergreift sich eine öffentlich am Pimmel.

Kirsi Mikkola hat sich vergriffen und wurde mit schwarzen Dreiecken bestraft. Die zieren jetzt die Plakate „Vater und Kind“ der finnischen Künstlerin. Ihr Kunstwerk erzählt vom sexuellen Mißbrauch des Vaters an der Tochter und wie sie sich dagegen wehrt.

Die Vereinigte Verkehrsreklame der Berliner Verkehrsbetriebe (VVR) ließ den Bilderstrip nur eingeschwärzt auf ihre U-Bahn-Werbeflächen kleben. Auf dem Gelände der S-Bahn ist die Zensur sogar total.

„Perlen für die Säue“ heißt das Projekt der „Neuen Gesellschaft für bildende Kunst e.V.“ (NGBK), das zur Zeit in Berlin läuft. Es hat ein dreistufiges Programm: Plakataktion, Ausstellung, Filme und Performances. Die Plakate sind gleichzeitig Teil des Projekts und dessen Werbeträger.

Mit den „Perlen“ wollen Künstlerinnen kreativ auf den täglichen Sexismus der „Säue“ antworten — wenn man sie läßt. Ihr entlarvendes Spiel mit sexistischen Versatzstücken und pornographischen Elementen ist in den Augen der Zensoren nämlich selbst Sexismus und Pornographie. Der Schein der Kunst scheint nicht mehr schön, wenn die Realität zu nahe ist.

„Wir wollten das Anliegen der Künstlerinnen nicht unterdrücken“, sagt Herr Kuno von der VVR. „Aber wir wollen auch kein erigiertes Glied zeigen.“ Glied bleibt schließlich Glied, auch als Gurke bei einem Comic-Mann. Und das darf weder gezeigt noch verunglimpft werden. Herr Kuno aber glaubt, daß er mit seinem Zensurdreieck „nur einen Blickfang für das Plakat“ geschaffen hat, der die „Deutlichkeit der Aussage nicht in Frage stellt“. Es könne ja sein, daß er einen zu engen Blickwinkel habe. Aber: „Ein unvoreingenommener Betrachter kriegt einen falschen Eindruck.“

Sollte dieser Eindruck etwa sein, daß das Plakat von Kirsi Mikkola männerfeindlich ist? Dann ist er nicht falsch, sondern richtig. „Die Konfrontation war beabsichtigt. Wir wollten männerfeindlich sein.“ Friederike Hamann von der NGBK hat allerdings nicht mit so einer heftigen Reaktion gerechnet; nicht mit schwarzem Feigenblatt, schon gar nicht, daß ein Teil der Plakataktion ganz ins Wasser Wasser fällt, weil die S-Bahn-Werbung GmbH sich weigerte, „das Schamgefühl eines objektiven Betrachters zu verletzen“. Und wo die Scham anfängt, hört die Kunst offenbar auf.

„Die abgelehnten Plakate haben nicht nur einen sexistischen Einschlag, sondern zeigen deutlich Sexualhandlungen“, schrieb der Anwalt der S-Bahn-Werbung. „Aber es soll doch gerade eine geistige Auseinandersetzung mit allgemein üblicher Werbung mit sexistischen Anklängen angeregt werden“, schrieben die Anwälte der NBGK zurück. Ohne Erfolg. Keine Klebeerlaubnis.

Doch was Kirsi Mikkola eigentlich noch mehr in Rage bringt: Für Herrn Goerke von der S-Bahn-Werbung und den Kollegen Kuno von der U-Bahn wird „mit diesen Plakaten der sexuelle Mißbrauch von Kindern propagiert“. Die Künstlerin: „Ich fühl' mich dadurch total beleidigt. Auf die Idee zu diesem Plakat bin ich gekommen, als eine Freundin mir erzählte, daß sie zwischen 9 und 15 zuerst von ihrem Vater und später auch von ihrem Bruder immer wieder vergewaltigt worden ist.“

Jedes vierte Mädchen und eine erhebliche Anzahl von Jungen werden im Laufe ihrer Kindheit sexuell mißbraucht. Die Täter sind zu 99 Prozent Männer, und in nur wenigen Fällen sind sie dem Kind fremd. Mehr als ein Viertel sind Väter, Stiefväter oder Männer, mit denen das Kind zusammenlebt. „Das muß man auch mit den Mitteln der Kunst öffentlich machen. Aber viele wollen daran nicht rühren“, schimpft Friederike Hamann. „Das Thema ist zu heiß“, sagte man ihr bei der S-Bahn.

Die zensierte Künstlerin interpretiert die plötzliche Schamhaftigkeit der Männer („Die halbnackte Frau bei der HB-Werbung ,Offen für leicht Anzügliches‘ find' ich nicht sexistisch“, O-Ton Kuno) noch radikaler. „Das Mädchen auf dem Plakat wehrt sich. Das ist zwar eine Utopie, soll den Kindern aber zeigen, daß sie diese Möglichkeit haben, daß sie sich nicht alles gefallen lassen müssen.“

Herr Kuno von der U-Bahn hatte die Plakate wie Herr Goerke von der S-Bahn zunächst völlig abgelehnt. Als die NBGK einen Zensurvorschlag machte, der Entscheidendes mit einem kleinen Balken verdeckte, wollte er immer noch nicht. Erst das Dreieck stellte ihn zufrieden, und das machte er dann fast doppelt so groß wie abgesprochen. „Aber wir haben uns drauf eingelassen, damit wir es überhaupt hängen können, sagt Friederike Hamann. „Damit macht man auch auf eine Grenze aufmerksam.“

Daß überhaupt eine Grenze verletzt wurde, schien der Ostberliner Plakat- und Anzeigenwerbungsgesellschaft nicht aufgefallen zu sein. Sie zeigte die Plakate — unzensiert. Kommentar von Herrn Kuno: „Die Ostkollegen haben noch nicht die nötige Sensibilität.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen