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Lebensschützer machen gegen Ärzte mobil

Nach legalen Schwangerschaftsabbrüchen in einem städtischen Krankenhaus in Kempten haben jetzt „militante“ Lebensschützer gegen den Oberbürgermeister und Ärzte eine Kampagne gestartet/ Sogar Morddrohungen gegen Chefarzt  ■ Von Klaus Wittmann

Kempten (taz) — Briefe mit Beschuldigungen wie „Ihr Amt als Oberbürgermeister macht Sie mitschuldig am Mord der ungeborenen Mitbürger“ oder auch „Wir halten es für einen Skandal, daß Krankenhäuser zur Tötung vorgeburtlichen Lebens zweckentfremdet werden“, flattern derzeit dem Kemptener Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Roßmann (SPD) und dem Chefarzt der Gynäkologie Dr. Herfried Vogt beinahe täglich auf den Schreibtisch. Chefarzt Herfried Vogt wurde sogar zweimal von anonymen Anrufern massiv bedroht: „Ich will die persönliche Bedrohung gegen mich gar nicht hochspielen, nehme sie auch nicht ernst. Aber es war so, daß mir zweimal das Zerstückeln angedroht wurde.“

Hintergrund der ganzen Kampagne, die sich vorwiegend in den Leserbriefspalten der Lokalpresse abspielt, ist wohl eine Äußerung des Chefarztes, weitergegeben vom Oberbürgermeister in seiner Eigenschaft als Krankenhaus-Zweckverbandsvorsitzender. Darin hatte Roßmann erklärt, Schwangerschaftsabbrüche würden in Kempten „ausschließlich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen durchgeführt“. Vor allem bei medizinischen Notfällen, so Roßmann, und befürchteten Erbschäden, würde auf Verlangen die Schwangerschaft abgebrochen. Nur äußerst selten hingegen werde eine Schwangerschaft wegen sozialer Notlage abgebrochen, „wenn wie im Gesetz vorgesehen, eine äußerst schwerwiegende Situation gegeben ist“.

Zahlenmäßig sieht das so aus, daß auf 1.400 Geburten pro Jahr in Kempten rund sechs bis elf Abbrüche kommen. Nur einmal in den vergangenen zwei Jahren wurde eine Schwangerschaft wegen einer sozialen Notlage abgebrochen — bei einer 15jährigen. Trotzdem wurden Unterschriftensammlungen gegen den Oberbürgermeister und Ärzte gestartet, Offene Briefe und sonstige Drohschreiben verfaßt. Eine sogenannte „Aktion Leben“ schreibt beispielsweise: „Die Vorstellung, in Kempten eine Abtreibungsklinik für die Region Allgäu zu errichten, hat in unserem Aktionskreis Schreie des Entsetzens ausgelöst. Wir halten es für einen Skandal, daß Krankenhäuser zur Tötung vorgeburtlichen Lebens zweckentfremdet werden.“

Oberbürgermeister Roßmann und Chefarzt Vogt halten diese Darstellung für völlig überzogen, ungerechtfertigt und „von militanten Minderheiten angeheizt“. Beide wollen sich durch die „unsäglichen Angriffe“ auch nicht einschüchtern lassen. Doch Dr. Herfried Vogt ist von den üblen Beschimpfungen „schwer getroffen“, wie er sagt. „In der Abteilung trifft uns am meisten, daß wir zu unrecht in diesen Ruf gekommen sind. Wir haben sicher mehr Frauen davon überzeugt, ihre Schwangerschaft zu behalten, als daß wir unterbrochen haben.“

Kempten keine Abtreibungshochburg

Doch trotz aller Erklärungen, Stellungnahmen und Antwortbriefe haben die selbsternannten „Lebensschützer“ bislang ihre Kampagne nicht beendet. Öl auf's Feuer gegossen hat ein Lokalredakteur des Anzeigenblattes 'Kreisbote‘, der — so Oberbürgermeister Roßmann — „wider besseres Wissen“ getitelt hat: „Kempten ist Hochburg für Schwangerschaftsabbrüche“.

In einem neuerlichen offenen Brief finden sich Formulierungen wie: „Wir finden es eine unerträgliche Zumutung, im Entbindungsfall eventuell von Ärzten betreut zu werden, denen es derart an der Achtung vor der Würde und Unantastbarkeit menschlichen Lebens mangelt, daß sie bereit sind, gegen Bezahlung und wider den hypokratischen Eid, Menschen zu töten.“

Daß wegen der ausgesprochen geringen Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt die Wogen so hoch schlagen, liegt vermutlich an der sonst im Allgäu und in Bayrisch- Schwaben üblichen Praxis in Sachen Schwangerschaftsabbrüche. Nach Auskunft von „pro familia“ werden Abbrüche lediglich an einer Privatklinik bei Augsburg, nicht jedoch an kirchlichen oder kommunalen Krankenhäusern durchgeführt. Einzig Kempten macht da die Ausnahme und das auch erst, seit Oberbürgermeister Roßmann im Amt ist. Sein Vorgänger Josef Höß hatte auf eine restriktive Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen an städtischen Krankenhäusern gedrängt.

Oberbürgermeister Roßmann will sich jedoch durch die Kampagne nicht einschüchtern lassen. „Das sind bösartige Vorwürfe, die jeder Grundlage entbehren. Die Zahl der Abbrüche ist bei uns so gering, daß es einfach hirnrissig ist, von einer Abtreibungshochburg zu sprechen.“ Aber er sehe es nicht ein, Frauen in ganz extremen Notlagen in die Illegalität zu drängen. „Wir machen das genauso weiter wie bisher. Wir lassen uns durch derart unsachliche Briefe nicht erpressen.“

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