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Gabelwetzen am Museumskuchen

■ Auf einer Podiumsdiskussion über die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft wurden Orte, Konzepte, Gattungs- und Epochengrenzen und Grundsatzfragen der Bildungsinstitution Museum besprochen

Der Dienstagabend begann mit einer beschwichtigenden Absichtserklärung. »Niemand denkt daran, die Museumsinsel in ihrer Substanz anzutasten«, verkündete Professor Dube, Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz (SMPK), gleich zu Anfang auf einer Podiumsdiskussion zur Neuordnung der Museumslandschaft. An dieses Statement knüpfte sein Kritiker im Streit um die Vereinigung der Sammlungen, Professor Börsch-Supan, Direktor der Städtischen Schlösser und Gärten, am Ende beschwörend an: Damit sei doch wohl die geistige Substanz der Museumsinsel gemeint, die mit einem universellen Anspruch Kultur vom Anbeginn der Menschheitsgeschichte an darzustellen versucht.

Die Frage aber, wie der Zusammenhang der Kulturgeschichte in der musealen Inszenierung und der Neuordnung der Sammlungen von der Frühgeschichte und Antike bis zum 19. Jahrhundert zu vermitteln sei, erwies sich als eine schwer überschaubare inhaltliche Kontroverse. Das Bodemuseum und der wieder aufzubauende Nordflügel des Pergamonmuseums, deren Neueinrichtung zur Disposition steht, erscheinen als Schaltstellen der historischen Vernetzung, für die es unterschiedliche Konzepte gibt.

Zu der Diskussionsveranstaltung mit dem Titel Museen in Bewegung II im Martin-Gropius-Bau hatte wieder die Fraktion Bündnis 90/ Grüne (AL)/ UFV eingeladen. Gekommen war, wie die Fragen zeigten, ein großes Fachpublikum — Kustoden der Sammlungen, Mitarbeiter sowie zwei Tutoren, die sich an der Hoschule der Künste mit dem Problem der Planungen befassen. In ihren Beiträgen wurde deutlich, daß Konzepte zu Neuordnung der Sammlungen auch innerhalb der einzelnen Institutionen kontrovers diskutiert werden. Andererseits waren Außenstehende bald kaum noch in der Lage, über die Vielzahl der Sammlungen, unveröffentlichte Depots, der Darstellung harrende Geschichten von Sammlungen und Museumsgebäuden den Überblick zu behalten und den imaginären Raumbesetzungen zu folgen. Sabine Weißler, frühere kulturpolitische Sprecherin der AL-Fraktion und jetzt Kunstamtsleiterin in Steglitz, moderierte ohne Angst, sich in Epochen und Orten zu verirren.

Neben Dube und Börsch-Supan saßen Dr. Effenberger, Stellvertretender Direktor der Staatlichen Museen zu Berlin, und der Hamburger Kunsthistoriker Professor Peschken als Kritiker der Neuordnungsstrategie und Informationspolitik der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz auf dem Podium. Sie trafen sich in einem Denkansatz, dem es nun nicht um die Verteilung von Museumsbauten als Statussymbole ging, in der Kunst als Manövriermasse möglichst spektakulär inszeniert wird. Der Akzent sollte vielmehr von einer Besitzstanddiskussion auf die Problematisierung der Institution Museum und ein größeres Bewußtsein für den Ballast der eigenen Museumsgeschichte verschoben werden. Sie versuchten nicht, den Neubau der Gemäldegalerie am Kemperplatz nach den 1986 entworfenen Plänen des Architekten Christoph Sattler gegen die Wiederbelebung des Bodemuseums auszuspielen; noch ging es um konkrete Lösung der absehbaren Konkurrenz zwischen beiden Häusern.

Die Idee, das Bodemuseum als Stammhaus der Gemäldegalerie und Skulpturensammlung in dieser Tradition wieder auszustatten, gründete sich auf die Hoffnung, den angesammelten Überfluß der Gemälde und Skulpturen, der sich nach den Maßstäben heutiger Präsentation nur zum kleinen Teil im Bodemuseum unterbringen läßt, in Neubauten nahe der Insel anzusiedeln. Diese Utopie zerschlug Dube gleich zu Beginn: Laut Senatsbeschluß stehen dafür keine Grundstücke zur Verfügung. Aus Dahlem aber müssen, das wurde nicht in Frage gestellt, die Gemälde- und Skulpturensammlungen heraus, um der außereuropäischen Kultur die Bühne zu überlassen. Auf Börsch-Supans Vorschlag, einige Räume des Bodemuseums probeweise mit Gemälden und Skulpturen als Zitat der einstigen Bedeutung zu inszenieren, ging niemand ein.

Der gründerzeitlichen Mentalität und Siegerpose, Museumsbauten und Sammlungen wie Tortenstücke zu verteilen, wollte Börsch-Supan ein Ende bereiten: Wie das ‘Haben‚ der Museen in ein ‘Sein‚ zu verwandeln, wie das Museum als klassische Bildungsinstitution und nicht als bloßer Zählapparat durchströmender Touristen zu begreifen sei, sieht er als Leitmotive einer Überdenkung der Neustrukturierung. Die Ängste der einzelnen Kustoden vor einer Benachteiligung bei der Neuverteilung der Ausstellungsfläche vorausahnend, wagte er einen Vorschlag: Warum nicht eine preußische Tradition zur Bildung der Provinz aufgreifen und Sammlungsteile aus den Depots an Museen in der DDR verleihen, statt sich hier den Platz streitig zu machen. Schließlich werden die SMPK von den Ländern finanziert.

Gerd Peschken kreidete den SMPK an, daß sie sich in ihrer berüchtigten Denkschrift der Generaldirektoren beider Museumskomplexe vom Sommer 1990, eines schludrigen Umgangs mit Baugeschichte und Tradition schuldig gemacht haben. Daß der jetzt wieder als Symbol-Architektur der Haupstadt begehrte Klassizismus einst schnöde verlassen worden sei, werde jetzt unterschlagen. Von Sabine Weißler zur Produktion exotischer Ideen aufgefordert, sorgte Peschken für Unterhaltung: warum nicht die Sammlungen neu durchwürfeln und in jedem Haus von der Antike im Keller bis zur Gegenwart unter dem Dach eine Durchquerung der Jahrtausende probieren. Warum nicht Antike und Renaissance kurzschließen und das Mittelalter, wie z.B. in Köln, wieder den sakralen Kirchenräumen überlassen.

Weder so kühn noch so deutlich wollte Effenberger, einziger Diskutant aus dem östlichen Direktorenapparat, in seiner Polemik werden gegen die Verkrustung von musealen Hierarchien, die sich von Materialgattungs- und Epochengrenzen nicht lösen könne. Er zog sich auf eine Verteidigung der von ihm betreuten archäologischen und frühgschichtlichen Sammlungen zurück, für deren Integration unter die Hochkulturen und Anerkennung als autonomes Kulturzeugnis er bei der Neuordnung der Museumsinsel die Fahne hochhält.

Der Streit um die Wertigkeit kultureller Dokumente, der zwischen Kunsthistorikern und Archäologen nicht erst seit der anstehenden Vereinigung der Sammlungen schwelt, hat durch die potentielle Bewegung der Museumslandschaft eine Aktualisierung, Verschärfung und ungewohnte öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Nicht problematisiert wurde auf der Podiumsdiskussion, ob diese Auseinandersetzung nicht instrumentalisiert wird, um personelle und ideologische Konflikte zurückzudrängen. Niemand schwang sich zum Diabolo auf, das in kalten Kriegszeiten wurzelnde Kulturforum am Kemperplatz als Manifestation der Kulturpolitik der Sieger anzuklagen oder die emotionalen Empfindlichkeiten der ihrer Autonomie beraubten Museumsleute Ost anzusprechen, die ihre Insel als ein Zentrum unter dreien zurückgerückt sehen. Man war froh, einen unerschöpflichen Vorrat sachlicher Probleme als Anlaß der Debatte zu haben.

Dazu gehört neben dem Bodemuseum auch der Wiederaufbau des Neuen Museums. Konsens ist dort zwar die Rückbringung der Ägyptischen Sammlung; doch nur zum Teil versteht man sich bei Fragen der Rekonstruktion der Ausstattung, die den Kunstkonsum und die Geschichtsklitterung des 19. Jahrhunderts und damit den Geist, aus dem die Sammlung entstand, dokumentiert. Das Anliegen, Sammlungsgeschichte und Wisseninteressen der Begründer zu vermitteln, aber wurde von vielen Seiten angemeldet. Gerade in der bewußten Inszenierung der eigenen Historizität liege eine Chance der Neuordnung, betonte man einhellig.

Indessen blieben einige Konfliktstoffe ausgeblendet. So etwa die Nachkriegsgeschichte der Sammlungen, aber auch der heutige Umgang mit der Kunst nach 1945. Diese wird in den beiden Nationalgalerien ja durchaus unterschiedlich bewertet — und auch hier wird alles darauf hinaus laufen das östliche dem westlichen Kunstverständnis unterzuordnen.

kbm

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