piwik no script img

Sachsen-Anhalts zweite Wende

■ Der erste der drei glanzlosen Ministerpräsidenten, die noch aus Vor-Wendezeiten der CDU stammen, hat abgedankt. Das Szenario für die anderen ist vorgegeben, und auch die Lösung nach dem Modell "Biedenkopf"...

Sachsen-Anhalts zweite Wende Der erste der drei glanzlosen Ministerpräsidenten, die noch aus Vor-Wendezeiten der CDU stammen, hat abgedankt. Das Szenario für die anderen ist vorgegeben, und auch die Lösung nach dem Modell „Biedenkopf“: Zum neuen Landeschef soll schon heute der Westimport Werner Münch, bisher Finanzminister, gewählt werden.

Der Rücktritt der christlich-liberalen Regierung von Sachsen-Anhalt unter Ministerpräsident Gerd Gies löste gestern in Magdeburg hektische Betriebsamkeit aus. Während das Noch-Kabinett im Gästehaus der Landesregierung hinter verschlossenen Türen beriet, beratschlagten die Fraktionen von CDU und FDP über die Zukunft der Regierungskoalition. Und über den künftigen Ministerpräsidenten. Als neuer Regierungschef soll schon heute der bisherige Finanzminister Werner Münch, ein West-Import, gewählt werden. Münch war bis zu seiner Berufung ins Kabinett Gies CDU-Europa-Abgeordneter. Der Niedersachse wurde auch lange Zeit als möglicher Spitzenkandidat der CDU bei der nächsten Landtagswahl in seiner politischen Heimat gehandelt. Bereits seit geraumer Zeit war er aber schon als Nachfolger von Gerd Gies im Gespräch: für einen fliegenden Wechsel noch im Laufe der Legislaturperiode. Der Rücktritt des Ministerpräsidenten und seines Kabinetts macht nun für Münch den Weg frei.

SPD-Fraktionschef Reinhard Höppner begrüßte in einer ersten Stellungnahme den Rücktritt der Regierung. „Offensichtlich ist die CDU so tief zerstritten, daß die Schatten der Vergangenheit die alte Blockpartei jetzt endgültig einholen“, sagte er. Der CDU sei es offenbar nicht gelungen, wenigstens in Grundzügen eine Erneuerung der Partei nach der Wende herbeizuführen. Höppner spielte damit auf die Vergangenheit von Gerd Gies als Vorsitzender des CDU-Kreisvorstandes Osterburg an. Der hatte seinerzeit in einer Stellungnahme zum „Entwurf des SED- Programms und zur Direktive zur Entwicklung der Volkswirtschaft 1976-80“ enthusiastisch die „klaren Aussagen zur Fortsetzung der konsequenten Friedenspolitik, zur Zusammenarbeit mit unseren sozialistischen Bruderländern und vor allem auch zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für unsere Menschen“ bejubelt.

Höppner forderte ebenso wie Hans-Jochen Tschiche, der Fraktionschef von Bündnis 90/Grüne, die Neuwahl des Ministerpräsidenten zu verschieben, bis die Überprüfung der Abgeordneten auf ihre Stasi-Vergangenheit abgeschlossen sei. „Es ist ein Unding, wenn sich jetzt auch der neue Ministerpräsident auf eine starke Stasi-Fraktion im Landtag stützen muß, erklärte der SPDler. Und er machte klar, daß die Verschiebung der Wahl nur die Minimalforderung seiner Fraktion ist. Die Sozialdemokraten werden in der heutigen Landtagssitzung darüber hinaus die Selbstauflösung des Parlaments und die Ausschreibung von Neuwahlen beantragen.

Ein Versuch, der angesichts der Mehrheitsverhältnisse scheitern muß. CDU (48 Abgeordnete) und FDP (14) verfügen zusammen über eine satte Mehrheit von 18 Stimmen gegenüber der Opposition aus SPD (27 Mandate), Bündnis 90/Grüne (5) und PDS (12). Deshalb gilt auch die Wahl von Münch als künftigem Ministerpräsident als sicher.

Genauso sicher ist, daß der ebenfalls skandalgeschüttelte Innenminister Wolfgang Braun (CDU) in einem Kabinett Münch nicht mehr vertreten sein wird. Hinter vorgehaltener Hand hat der Import-Politiker aus Niedersachsen Journalisten bereits gesteckt, daß er Braun für eine schwere Belastung der Regierungsarbeit hält. Der zurückgetretene Gies dagegen hatte sich immer hinter seinen Innenminister gestellt. Selbst der recht konkrete Verdacht, Braun habe als inoffizieller Mitarbeiter der politischen Polizei indirekt auch der Stasi zugearbeitet, brachte seinen Sessel nicht zum Wanken.

Gestern mittag nun brach der ausgesprochen öffentlichkeitsscheue Braun sein langes Schweigen gegenüber der Presse. Anlaß seiner wohl letzten öffentlichen Äußerung als Minister war allerdings nicht der Rücktritt der Regierung, sondern die Bilanz der Verkehrsunfälle des ersten Halbjahres.

Kenner des Landtags gehen überdies davon aus, daß auch Bildungsminister Werner Sobetzko (CDU) dem neuen Kabinett nicht mehr angehören wird. Ihm wirft der designierte Ministerpräsident schon lange Unfähigkeit im Amt und insbesondere Versagen bei der Neuordnung des Schul- und Hochschulwesens vor.

Peter Kirschbaum, Abteilungsleiter im Presse- und Informationsamt der Magdeburger Staatskanzlei, geht davon aus, daß Werner Münch bei seiner Wahl heute auch bereits seine MinisterInnenriege vorstellen wird. „Und am nächsten Dienstag wird dieses Kabinett ganz normal zu seiner routinemäßigen Sitzung zusammentreten“, weiß Kirschbaum. Als hätte es überhaupt keinen Rücktritt der Regierung gegeben.

Bei aller Routine wird der künftige Regierungschef aber mit einem Handicap zu kämpfen haben. Bei seiner Wahl in der heutigen Landtagssitzung wird aller Voraussicht nach auch die Stasi-Gruppe in den Regierungsfraktionen für ihn stimmen. Zwar werden heute auch die Unterlagen der Berliner Gauck-Behörde über die Abgeordneten des Magdeburger Landtags in der Landeshauptstadt erwartet.

Bis die allerdings ausgewertet und die entsprechenden Gespräche mit belasteten Abgeordneten geführt worden sind, wird noch viel Wasser die Elbe hinunterfließen. Und ob die belasteten Abgeordneten tatsächlich aus den Beweisen gegen sie die Konsequenzen ziehen und ihr Mandat niederlegen, ist völlig ungewiß. Zwingen kann sie dazu niemand. Auch ein „sauberer“ Ministerpräsident nicht. Eberhard Löblich, Magdeburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen