: Heilende Roßkur für Göttin Viktoria samt Streitrössern
■ Die gebeutelte Quadriga kehrt nach mehr als einjähriger Schönheitskur auf ihren angestammten Platz auf dem Brandenburger Tor in Berlin zurück
Berlin. Die von Johann Gottfried Schadow konzipierte kupferne Quadriga bekommt gegenwärtig noch im Berliner Museum für Verkehr und Technik den letzten Schliff. Restauratoren und Kunsthandwerker sind dabei, dem lädierten rund 6.300 Kilogramm schweren Ensemble seine ursprüngliche Gestalt zurückzugeben, bevor es am 8. Juli enthüllt wird. Seit der letzten Restaurierung vor über 30 Jahren waren die stählernen Innengerüste der einzelnen Figuren durch Umwelteinflüsse stark verrottet. Die Silvesterparty 1989/90 am Brandenburger Tor, das neun Tage zuvor nach fast 30 Jahren wieder geöffnet worden war, tat ihr übriges: Jugendliche aus Ost und West hatten das über 20 Meter hohe Bauwerk erklommen und in ihrer Euphorie nach dem Fall der Mauer dem Vierergespann den Rest gegeben.
Über den schlechten Zustand des Bauwerks und der Quadriga hatten schon zu DDR-Zeiten Gutachten vorgelegen, doch scheiterten notwendige Reparaturen am fehlenden Geld. Nach der Maueröffnung kümmerten sich Ostberliner Magistrat und Westberliner Senat gemeinsam um das symbolträchtige Wahrzeichen Berlins. Industrie, Banke, und Bürger spendeten für die Wiederherstellung der Quadriga. Im April vorigen Jahres begannen die Arbeiten im Westberliner Museum für Verkehr und Technik.
1789 war das Kunstwerk in Auftrag gegeben worden. Bewegungen der Pferde studierte Schadow an Tieren aus dem königlichen Marstall, und für die Friedensgöttin scheint ein junges Mädchen aus seiner Bekanntschaft Vorbild gewesen zu sein. Verschiedene Modelle fertigte der Meister an, die er immer wieder veränderte. Mal war das Größenverhältnis der Viktoria zum Streitwagen nicht richtig, dann zeigten die Pferde nicht das gewünschte Muskelspiel.
1793 wurde die Quadriga auf das drei Jahre zuvor fertiggestellte Tor gehievt. Noch weitere zwei Jahre wurde am Ensemble gefeilt. Viktoria erhielt als Siegeszeichen einen Lorbeerkranz mit darüber schwebendem Adler, den sie bis 1814 in der Hand hielt. Nach dem Sieg Napoleons über die preußische Armee wurde die Quadriga 1806 nach Paris „entführt“. Nach Napoleons Niederlage in den Befreiungskriegen kehrte sie 1814 in 15 Kisten verpackt an die Spree zurück. Dort wurde in ihr Siegeszeichen ein Eisernes Kreuz eingepaßt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges blieben auf dem Tor nur noch Trümmer übrig, eine Wiederherstellung der Quadriga erschien fraglich. Hinzu kamen Streitereien und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ost- Magistrat und West-Senat sowie Geldprobleme. Erst 1956 begann die Westberliner Bronzegießerei Hermann Noack, die Quadriga aus Trümmerresten und Gipsabgüssen einiger Teile der Figurengruppe wiedererstehen zu lassen. Gudrun Janicke
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