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VON SPRUNGSCHANZEN UMSTELLT

■ Hotel Panorama: größtes Ferien- und Sporthotel der Ex-DDR

Hotel Panorama: größtes Ferien-

und Sporthotel

der Ex-DDR

VONMICHAELAOTT

An ihren Ohren sieht man sie schon von weitem: weiße Spitzen, die die dichte Walddecke durchstoßen. Die schmalen, langgestreckten Körper lassen an Raubtiere denken, noch ruhend, mit von den Vorderläufen gehaltenem Kopf. Sie blicken weit hinaus über die Landschaft, über das hügelige, grüne Land des Thüringer Waldes.

Später, auf dem Parkplatz, erkennt man, daß die Dreiecke optische Verlängerungen von Sprungschanzen sind, als welche sich die abfallenden Dächer der beiden Häuser ausgeben, Wahrzeichen dieser sportiven Gegend, des Wintersportzentrums der ehemaligen DDR. Die Tierflanken sind von zahlreichen Fensterreihen besetzt.

Zwei Riesenkomplexe mit leicht angerosteten Fassaden: das Hotel Panorama, größtes Ferien- und Sporthotel der Ex-DDR in Oberhof. Als wolle der Ort sein wahres Wesen als winterliches Zentrum unter Beweis stellen, ist das Hotel in diesen Frühsommertagen von dichtem Nebel umhüllt; der Wind pfeift um die Häuser. Vom Thüringer Wald sieht man vor allem die Schneisen, die zu sportlichen Hochleistungszwecken in den Wald geschlagen wurden.

Die Hotelanlage hat sich, wie so manches Renommierobjekt der ehemaligen DDR, in eine Großbaustelle verwandelt. Es wird mit schweren Maschinen und feinen Pinseln gearbeitet. Das neben dem Hoteleingang gespannte Netz soll verhindern, daß der Arbeitsschutt auf die Besucher fällt. Aus einem Container neben der Baustelle ragt die alte Kücheneinrichtung; himmelblaue Plastikklohäuschen liegen rund um das Gebäude am Boden.

Die Empfangshalle ist eine zugige, in DDR-Kalligraphie gehaltene Werbefläche: Wanderungen zum „Gebrannten Stein“ werden dort handschriftlich empfohlen und die Produkte der Waffenschmiede in Suhl: waidgerechte Waffen für waidgerechte Jagden. Daneben hängt schlaff ein Plakat der Weimarer Bühnen: Bajazzo für Samstag, für Sonntag ein Abschlußkonzert.

Die Rezeptionstheke erweist sich als Abenteuer-Board: Die Bitte um ein hoch gelegenes Zimmer mit Talblick wird zu einem abendfüllenden Unternehmen. Die Empfangsdame kennt auf der erst vor einer Woche eingerichteten Computeranlage noch nicht die Taste, die den Zimmerüberblick auswerfen soll — so tastet sie sich an der Leiste der hängenden Schlüssel entlang und befragt in zahlreichen Anläufen den Computer, ob 709, 613 oder 825 noch zu haben sind. „Wir haben ja kaum Zeit zu üben. Früher hatten wir ein anderes System, das war einfacher, konnte aber nicht soviel leisten.“ Wir bekommen schließlich unser Zimmer: Minibar, Color-TV und Talblick.

Im Prospekt des Hotels Panorama wird „Gastlichkeit mit Variationen“ angepriesen: „Jedes unserer Restaurants hat seinen eigenen Charakter. Auch das bestätigt die individuelle Art des Hotels Panorama. Und genauso individuell betreuen wir Sie als unsere Gäste.“ Das Hotel verfügt immerhin über sieben Restaurants. „Ganz oben im Giebel hat sich das Bellevue eingerichtet. Und Bellevue, schöne Aussicht, heißt es nicht vergebens.“

Wir bekommenn in diesen zwei Tagen kulinarische Genüsse von bäuerlich-ländlich bis gediegen-elegant serviert. Die Wende hat indes Magen-Ökologisches dazukommen lassen. Ein reiches Salatbüffet mit allen denkbaren Ausformungen an eßbarem Grünzeug versucht, die Wurstlastigkeit der traditionellen Küche zu kompensieren. Der Auftrag zur „Gastlichkeit mit Variationen“ entbehrt an diesem Wochenende nicht einer gewissen Zwanghaftigkeit. Das Oberhof- und Jägerklausen-Probeessen wird mit einem Freiluftimbiß aus der Gulaschkanone ergänzt. Da sich der Kessel schnell zu leeren beginnt, kauft der wendige Geschäftsführer auf dem Parkplatz dem privaten Rostbratwurstimbiß kurzerhand fünfzig seiner schlabbrigen Würste ab.

Zur „Gastlichkeit mit Variationen“ gehört auch ein Waldhornblasen mit „Entchen von Tarau“ und etwas Ziehharmonika-Folklore. Vor allem gehört aber ein übereinsatzbereites Bedienungspersonal dazu, das dem Gast den Teller unter der Hand wegzieht, kaum hat der die letzte Zitronenmelisse angepiekst. Ein Personal, das mit nach vorne drängendem Oberkörper durch die Tischreihen huscht und das gehetzt hochleistungsmäßig serviert. „Bis drei Uhr heute nacht“, sagt die Kellnerin, die das Frühstück am folgenden Morgen auf das Zimmer bringt, „und ab fünf Uhr morgens schon wieder.“ Kein Wunder, wenn 370 von 590 Angestellten entlassen worden sind. „Wir müssen jetzt doppelt soviel arbeiten. Früher hatten wir zwei Etagen. Die Leute blieben zwei Wochen. Heute, wegen der erhöhten Fluktuation, müssen wir täglich die Bettwäsche neu beziehen.“

Die Herrn Westmanager meinen dazu am Kimme-und-Korn-Stammtisch: „Aus Rentabilitätsgründen geht es nicht anders. Ich kann Ihnen sagen, uns blutet da auch das Herz. Wenn wir an diese Schicksale denken...“ Der Herr Marketing-Manager aus dem Westen sagt auch: „Ich bin in der DDR, weil es da gutes Geld gibt.“ Braungebrannt sitzt er am Tisch und lächelt: „Was wollen Sie, lauter Zuschußbetriebe, die ganze Interhotel-Kette — jetzt hat die Treuhand ihre Finger drauf.“ Der Herr Ostbetriebsratsvorsitzende sieht es anders, spricht vom Jahresumsatz von zwei Milliarden und davon, daß das Hotel sich sehr wohl selbst tragen könne. „Nicht wenn wir bei diesem Preissatz bleiben“, erwidert lächelnd Herr West, „Neunzig Mark für ein Zimmer, das ist doch ein Witz, den müssen wir anheben auf 200 oder 300, wie woanders auch — und dann kommt keiner mehr hierher.“

Die früheren Besucher: „Internationales“ Publikum logierte in der „Luxusklasse“ (unteres Haus), verdiente Werktätige, FDGB-Urlauber aus dem eigenen Land und dem sozialistischen Ausland waren im Oberhaus untergebracht. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß das alles hochrangige Kader gewesen sind“, erzählt Herr Betriebsratsvorsitzender, „die Sowjets sind manchmal in Hausschuhen draußen rumgelaufen, die sahen doch eher bescheiden aus.“

Die Wählscheibe des türkisfarbenen Telefons ist seltsamerweise verkehrtherum montiert, so daß die der Bildlegende „Friseur“ und „Sauna“ entsprechenden Nummern zwischen 3 und 8 nicht zu wählen sind. Es läuft, wie bei der Rezeption zu erfahren, grundsätzlich alles über die 9. Natürlich läuft trotzdem wenig: Friseur am Samstagnachmittag nicht vorhanden, Masseurin nach Hause gegangen, Sauna überbesetzt. Der kleine Whisky in der Minibar ist schnell getrunken, ebenfalls die „Margon Cola“. „Rüdgers Club“ („ja, ja, das waren die schlauen Westvertreter; aber Sie sollten mal sehen, einen herben Weißwein können Sie hier nicht durchsetzen, die sind alle die süßen Tröpfchen gewöhnt“) und die stärkeren Zuckerwasser testen wir nicht. Der Farbfernseher hat auch Hessen und Bayern zu bieten; für manchen Hotelgast tickt der Radiowecker zu laut.

Aus der Suhler Waffenschmiede („beste Jagdwaffen der Welt“) hat sich früher auch Honecker sein Jagdgewehr geholt. Der Schießsport, Tradition in Thüringen, mußte sich indes wie das ganze Land wenden: Wo früher nur Mitglieder von Jagdkollektiven schießen durften, soll jetzt, wie in den anderen umliegenden Wettkampfanlagen auch, breitensportmäßig geschossen werden. Pech für den Kollektivjäger, der sich jetzt einem gesamtdeutschen Kollektiv stellen muß: „Jagdscheine, die bei der Prüfungskommission des Ministeriums für Staatssicherheit oder der Nationalen Volksarmee abgelegt wurden, werden zukünftig nicht mehr anerkannt.“

Was für den Jagdscheinbesitzer gilt, läßt sich vom Thüringer Deutschen insgesamt sagen: Er fühlt sich von der Wende genarrt. „Auch wir haben unsere Gottesdienste in den Kirchen gehabt; wir sind am 10. rüber nach Bayern; heute müssen wir uns wieder von Berlin vorschreiben lassen, was in unserem Land passiert.“ Sogar die Spitzensportler und Nationalmannschaftstrainer sehen sich ihrer Anerkennung, ihrer Wettkampfrechte und -plätze beraubt: „Wir wurden nicht nur als Angehörige der NVA bei Übernahme durch die Bundeswehr degradiert, vom Major zum Feldwebel, und dann für denselben Dienstgrad nur mit sechzig Prozent des Westgehaltes ausgestattet. Zusätzlich will man uns unsere Wettkampftradition wegnehmen, den Schwerpunkt des Biathlon- Sportes beispielsweise nach Bayern rüberziehen.“

Die Mitarbeiterin im mitteldeutschen Rundfunk fühlt sich durch Dienstanweisungen aus Berlin entmündigt, der Betriebsratsvorsitzende durch die Treuhand seiner Umgestaltungswilligkeit beraubt, der Bademeister hat sich in weiser Voraussicht schon ein eigenes Schwimmbad gebaut. Erstrebenswert erscheint allen vor allem eine Alternative: die Nische im Grünen, unter dem reichen Waldbestand des Thüringer Waldes. Wie es ein Saunabesucher andeutet: ein Zentrum für spirituelle Erneuerung, für die Pilzsuchergesellschaft, eine Oase des dritten Weges oder Auges.

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