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Kein Geld, aber Tips für Gorbatschow

■ In Kiew drängte Kohl darauf, daß Gorbatschow beim Treffen der sieben Industrienationen im Juli Reformkonzepte vorlege/ In den Straßen Demonstrationen für Unabhängigkeit der Ukraine

Kiew (dpa) — Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow war ernst und angespannt, als er Bundeskanzler Helmut Kohl gestern nachmittag auf der Sommerresidenz der Ukrainischen Kommunistischen Partei in Meschigore 30 Kilometer von Kiew entfernt begrüßte. Die Kiewer Bevölkerung hatte ihm bei Temperaturen von dreißig Grad „heißen“ Empfang bereitet. Sowohl am Flughafen Borespol als auch auf der Hauptstraße von Kiew, schwenkten die Menschen Flaggen in den blaugelben Landesfarben als Zeichen der ukrainischen Unabhängigkeit.

„Gorbatschow go home“ und „Gorbatschow keep the soviet army out“ stand auf den Transparenten der Demonstranten, die sich im Schatten des monumentalen Lenin-Denkmals auf dem Platz der Oktober-Revolution versammelt hatten. Andere Transparente wandten sich gegen „die Verletzung der Souveränität“ der Ukraine, weil Gorbatschow Kohl nach Kiew eingeladen habe, ohne das Parlament der Republik zu konsultieren. Kohl und Gorbatschow sprachen über die Reformpläne in der UdSSR. Sie sind für den Westen Voraussetzung für weitere Hilfen an Moskau. Der Kanzler wollte den Kremlchef ermuntern, bei dem Wirtschaftsgipfel Mitte Juli in London einen Plan zur Staatsreform in der UdSSR vorzulegen, und zwar mit konkreten Angaben über die Stufen seiner Verwirklichung.

Kohl hatte schon auf dem Flug in die UdSSR versichert, er wolle mit Gorbatschow nicht über neue Geldzuwendungen aus Bonn sprechen. Vielmehr wollte er in Kiew erreichen, daß Gorbatschow in London den Chefs der sieben größten westlichen Industrienationen akzeptable und überzeugende Reformkonzepte vorlege. Aus der Sicht Kohls sollte Gorbatschow bei der Staatsreform in der UdSSR auch mit seinem Gegenspieler, dem Präsidenten der sowjetischen Republik, Boris Jelzin, zusammenarbeiten.

Wie aus deutschen Delegationskreisen weiter zu hören war, könnte in London eine Empfehlung ausgesprochen werden, die Sowjetunion als assoziiertes Mitglied im Internationalen Währungsfond aufzunehmen, um den Weg für Kredite bei der Weltbank zu eröffnen. Künftige Hilfen für die Sowjetunion könnten dann international koordiniert über IWF, die Länder der EG und der OECD laufen.

Bei dem Treffen mit Gorbatschow wollte Kohl auch das Interesse Bonns an einem fristgerechten Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland unterstreichen. Ferner wollte der Kanzler für sowjetische Aufträge an Unternehmen in Ostdeutschland werben.

Es wurde erwartet, daß sich Kohl und Gorbatschow für eine gewaltlose Lösung der Krise in Jugoslawien einsetzen. Ob der Kremlchef sich dabei der Linie des Kanzlers für das Selbstbestimmungsrecht der Völker vorbehaltlos anschließen würde, war angesichts seiner Probleme in der sowjetischen Union eher fraglich.

Zum Abendessen waren dann die obersten Vertreter der ukrainischen Republik eingeladen, die sich als Souverän versteht und erst nach dem Sommer den neuen Unionsvertrag unterzeichnen will. Welche Erwartungen vor allem Moskau mit diesem Besuch verband, machte der frühere Bonn-Botschafter und heutige Vize- Außenminister der UdSSR, Juli Kwizinskj, schon beim Empfang deutlich: „Hier kommt die geballte Finanzkraft“, begrüßte er den deutschen Finanzstaatssekretär Horst Köhler. Der reagierte kühl: „Schauen Sie mich an, dann sehen Sie, ich nehme ständig ab.“

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