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Die Begegnung im Gazekäfig

■ Schauspielhaus: Proben für „Mütter und Söhne“, deutsche Einheit und nächste Spielzeit

Es war einmal vor langer, langer Zeit, im Sommer 1989, als die deutsche Einheit mit der Massenflucht der DDR-Bewohner begann und in Bremen die Ägide von Oberspielleiter Andras Fricsay. Gleich das zweite der drei großen Schurkenstücke, Brechts Arturo Ui, ging zu Bruch. In Gestalt der Zusammenarbeit mit dem gegen- den-Strich-Brecht Regisseur Uwe-Heinz Haus. Der kam aus der strengen Regisseurschule der DDR und verlangte von dem ruhmbegierigen Männerensemble, es sollte in Masken auftreten, pünktlich zur Probe erscheinen, zudem artikulierte sich der Mann zwar deutsch, aber unverständlich. Schauspieler meuterten, Andras Fricsay verbot Haus das Proben.

Jetzt, nach der 40 Jahre langen Ära von DDR und BRD und am Ende der kurzen Ära Fricsay, inszeniert wieder ein DDR-Regisseur mit Fricsays „wildem Haufen“ . Am 9. Oktober bringt Axel Richter „Mütter und Söhne“ heraus, ein surreales Stückkleinod nach dem spanischen Autor Xavier Tomeo, das in Berlin die Schaubühne herausbrachte. Für Axel Richter, zuletzt Leiter des Schauspiel in Rostock, demnächst des Theaters in Magdeburg, war es die erste Regiearbeit mit westdeutschen Schauspielern. „Es war Moment der Begegnung, auf den ich mich gefreut habe“, sagt er. Die deutsche Einheit werde sich nicht durch übereinander reden, hetzen oder sich erheben erreichen lassen. „Der Beweis wird durch Arbeit angetreten, durch Begegnung.“

Und so war es denn auch. Der so engelsgesichtige Herr aus dem Osten schöpfte in den fünfeinhalb Probenwochen reichlich aus dem improvisierenden Miteinander und aus den expressiven Freiheiten der Westspieler. Aber einen knallharten Stil des Unterbrechens und „nocheinmal, nocheinmal, nocheinmal...“ pflegte er auch. Zudem entwarf Klaus Noack, den Richter aus mitgebracht hatte, als Bühnenbild eine Art durchsichtigen Käfigs. Mit einem graffittibekritzelten Gazevorhang ließ er genau die die berüchtigte „vierte Wand“, zwischen Bühne und Publikum herunter, die die Shakespeare Company seit Jahren mit Erfolg einreißt. Das heißt, die Spieler konnen das Publikum kaum noch sehen. Dafür hören sie es aber auch nur schwer, weil Richter den Gazekäfig zusätzlich noch durch ein diffuses Stimmenklang-Bad abisoliert. Und dahinein sprach der Mann von Drüben Anforderungen, deren Worte deutsch lauteten, deren Sinn man jedoch nicht wie gewohnt verstand.

Es war wie vor zwei Jahren. „Das mache ich nicht mehr mit!“ sagte einmal definitiv Soeren Langfeld, einmal definitiv Lutz Herkenrath. Nur, der von Drüben machte, unterstützt vom Regieassistenten Ulrich Fuchs, der Rich

...so'ne Söhne - Sahne!Foto: Claudia Hoppens

ter nach Bremen gelockt hatte, unbeiirt weiter; obwohl auch ihn manche Bräuche des Westens nachhaltig irritierten, wie z.B. die unentrinnbare Herrschaft des ungefragten „DU“.

Was dabei herausgekommen ist und auf den öffentlichen Proben dieser Tage zu sehen war, darf ich nicht verraten. Probe ist nicht Premiere, die ist am 9. Oktober, und rezensiert wird nienienie vorher. Auch wenns schwer fällt, denn das Stück steht. Verraten muß ich aber doch, daß dieses Mal das ost-westliche Raufen bei den Westlern keine Gewohnheit auf der andern gelassen hat, und dies sehr zum allseitigen Vorteil. Zwei Spieler werden zu sehen sein, die nur über den Gaze-Käfig dringen, wenn sie so präzis und leicht agieren und sprechen wie selten vorher und die vor Konzen

Hier bitte die beiden

Männer am

Waschbecken

tration auf den jeweiligen Mitspieler alle Eitelkeit vergessen haben.

Richter hat sich radikal nicht für das interessiert, was da zwei Söhne über ihre Mütter preisgeben, sondern wie sie diese Erzählungen für-und Gegeneinander benutzen. Entstanden ist ein streng ritualisierter Tanz, unter dessen Gesetz man sich die Lacher des an sich sehr witzigen Textes eher trotzig selber herausnehmen muß. Und das am „Bremer Theater“, dem der Effekt alles ist.

Und: Zu sehen ist ein Bühnengebilde, das die geneigte, aber opernmufflige LeserInnenschaft, die schon die bühnenbildnerischen Metaphysik der Geometrie in osi fan tutte verpaßt hat, angehalten ist, sich unbedingt anzusehen. Es ist ein Wunder der durch

sichtigen Undurchsichtigkeit, der eindeutigen Vieldeutigkeit, kurz der optischen Verfremdung. Und schön ist es auch. Uta Stolle

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