: Kiechle verwirft Vorschlag für Reform der Agrarpolitik
Agrarkommissar MacSharry will Preise und Produktionsquoten senken ■ Aus Brüssel Michael Bullard
„Enttäuscht“ reagierten nicht nur die Vertreter der alternativen „Europäischen Bauernkoordination“ auf die neuen Vorschläge für eine Reform der EG-Agrarpolitik, die der EG- Agrarkommissar am Dienstag abend in Brüssel vorstellte. Statt eine ökologische Landwirtschaft zu fördern, folge MacSharry mit seiner Preissenkungspolitik und Strukturreform dem US-amerikanischen Vorbild. Auch von den etablierten Bauernverbänden und einigen EG-Agrarministern wurde MacSharry erneut heftig kritisert. Die Vorstellungen des irischen Kommissars schössen weit über das Ziel hinaus, protestierte Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle.
Weil Überschüsse gigantischen Ausmaßes wie nie zuvor das EG- Budget, die Umwelt und die internationalen Beziehungen im Rahmen der Gatt-Verhandlungen belasten, will MacSharry die Produktion eindämmen. Dazu möchte er die von der EG-Kommission garantierten Agrarpreise teilweise drastisch verringern und die Produktionsqoten senken. Als Ausgleich für die dadurch entstehenden Einkommensverluste sollen direkte Beihilfen gezahlt werden.
Die damit verbundene Preissenkung für Getreide von nahezu 40 Prozent praktisch auf Weltmarktniveau sei unannehmbar, so Kiechle. Das selbe gelte für die Forderung, den Interventionspreis für Rindfleisch und Butter um 15 Prozent und den für Milch um 10 Prozent zu senken. Außerdem sehe der Kommissionsvorschlag noch immer keinen vollen Einkommensausgleich für die Preissenkungen vor. Damit spielte er auf die Beihilfen für größere Betriebe an, die im ersten Vorschlag MacSharries leer ausgingen, inzwischen aber doch wieder beglückt werden sollen. Zur Zeit gehören die Großbauern zu der Minderheit von 20 Prozent, die 80 Prozent der EG-Subventionen einstecken. MacSharry wollte dies ändern und vor allem kleinere Bauern unterstützen. Doch diese, so warnte der Allgäuer Minister, wollten sich nicht zu beamteten Naturschützern degradieren lassen.
Die Landwirte hätten ein Anrecht darauf, ihr Einkommen im wesentlichen über den Markt zu erzielen, statt auf Zahlungen aus den öffentlichen Haushalten abhängig zu sein. Daß Letzteres schon längst der Fall ist, verschwieg Kiechle bei seiner Kritik. Die EG-Agrarsubventionen sind bereits höher als die Wertschöpfung der Landwirtschaft. Trotzdem fallen die Einkommen der Landwirte stetig — letztes Jahr erneut um durchschnittlich drei Prozent. Um den Einkommensverfall auszugleichen, wird mehr angebaut. Schließlich: Fällt der Preis, muß die Menge erhöht werden — durch Rationalisierung. In diesen Agro-Fabriken werden die Überschüsse erzeugt, die — weil in Europa nicht mehr absetzbar — mit den EG-Subventionen zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt verschleudert werden. Anderen Ländern, besonders der 3. Welt, werden so traditionelle Absatzmöglichkeiten zerstört.
Grund für diese absurde Politik, die drei Fünftel des EG-Haushalts — 60 Milliarden Mark pro Jahr — verschlingt: Der Moloch „gemeinsame Landwirtschaftspolitik“ datiert noch aus den Anfängen der EG, als in Europa zu wenig Lebensmittel hergestellt wurden. Die damals entwickelten Förderprogramme für eine industrielle Landwirtschaft sind — geringfügig verändert — heute noch im Einsatz. Folge: Es wird viel zuviel produziert. Eine grundlegende Neugestaltung der Agrarpolitik wäre also dringend nötig. Von Eile ist in Brüssel indes nichts zu spüren. Daran scheint auch das düstere Orakel des EG-Agrarchefs nichts zu ändern: Die Landwirtschaftspolitik werde sich letzten Endes selbst zerstören, wenn keine radikale Änderung erfolge.
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