piwik no script img

Molotows feine Gewandung

■ Etwa sechzig Berliner Designer verkaufen ihre Kreationen in den Räumen von "Molotow". Zum explosiven Gemisch wird der Laden deswegen nicht, aber das breite Spektrum bietet einen kleinen Überblick über junges...

Etwa sechzig Berliner Designer verkaufen ihre Kreationen in den Räumen von „Molotow“. Zum explosiven Gemisch wird der Laden deswegen nicht, aber das breite Spektrum bietet einen kleinen Überblick über junges Modeschaffen. VON CHRISTINE BERGER

R

evoluzzer, die mit Molotowcocktails um sich werfen, haben mit Haute Couture zumeist wenig am Hut, auch wenn das adrette Autonomen-Schwarz der Jeanshosen und Lederjacken jede Menge aushalten muß. Wer die Cocktails dagegen lieber schlürft, hält schon eher etwas auf die individuelle Note aus edlen Stoffen und betritt irgendwann vielleicht den Kreuzberger Modekeller mit dem explosiven Namen „Molotow“. Ein Sammelsurium feiner Modeteilchen von sechzig verschiedenen Berliner Designern erwartet dort all jene Kunden, die Stangenware nicht mehr sehen können, modisch up to date sein wollen und dafür auch gerne tiefer ins Portemonnaie greifen. Das Besondere an Molotow? Der Laden ist keine Boutique von Designern, sondern eine Boutique mit Mode von Designern — ein kleiner, feiner Unterschied. Besitzer Arno Karge bekommt nach eigenen Aussagen nicht mal einen Topflappen zustande, geschweige denn ein Kostüm. Im Grunde hat er, wie er sagt, von Mode nicht viel Ahnung, aber das Verkaufen macht ihm Spaß.

Vielleicht gerade aus diesem Grund verwaltet er zusammen mit Sabine Siebeck erfolgreich einen einzigartigen Pool Berliner Mode. Wer sechzig Designer unter einem Dach vertritt, kann sich nur schwer der sogenannten Artenvielfalt entziehen. Von klassischer Leinenschneiderei bis „Haute Confiture“ der sechziger Jahre hängt bei Molotow alles auf Bügeln, was Berliner Stoffkünstler der neunziger Jahre in Form zu bringen vermögen.

V

or sechs Jahren, als Molotow die ersten Funken versprühte, angelten sich Karge und sein damaliger Partner achtzehn Designer und setzten den Grundstein für ihre Geschäftsidee. „Hätten wir nur zwei Designer im Laden, und der eine fällt plötzlich weg, sind das fünfzig Prozent Verlust. Mit mehr Leuten haben wir immer ein sicheres Angebot“, umreißt der Geschäftsmann die Molotow-Philosophie. „Je mehr Designer, desto besser“, das war vor allem am Anfang die Devise der Molotow-Gründer. Heute dagegen setzen Karge und Konsorten mehr auf Qualität denn auf Quantität. „Zeitweise hatten wir achtzig Designer. Da war aber zuviel Schrott dabei“, resümiert der adrette Mittdreißiger, der sich in seinen Räumen sichtbar selbst einkleidet. Mittlerweile hat sich die Zahl der Designer bei Sechzig eingependelt.

So unterschiedlich wie der jeweilige Stil der einzelnen Modemacher ist auch ihr finanzieller Hintergrund. Da gibt es Designer, die ihr Geld hauptsächlich durch Nebenjobs verdienen und höchstens zwei bis drei Stoffkreationen im Monat produzieren. Oft noch Studenten an den Modefachbereichen der Hochschulen, betreiben sie die Arbeit vom Entwurf bis zum Installieren der Nähte als Solonummer. Der Verdienst pro verkauftes Objekt ist gering.

Das andere Extrem sind Modedesigner mit eigenem Betrieb, die nur noch entwerfen und Einzelstücke bei Bedarf in kurzer Zeit nachproduzieren können. Sie stehen finanziell meist wesentlich besser da.

Auch bei Molotow. Walter Krines ist zur Zeit der meistverkaufte Modemacher in der Kellerboutique. Dementsprechend präsentiert sich seine Mode auch bei Messen in vorderster Molotow-Reihe. Neue Aufträge kommen dadurch von selbst. „Ich verstehe mich eher als Besitzer eines Betriebes und weniger als Designer“, erklärt Krines denn auch in Profi-Manier. Als ich ihn im Laden treffe, steckt er einer Kundin eben den von ihm entworfenen Rock auf Taille ab und schimpft auf die Modegazetten, die immer „Fetziges“ sehen wollen und seiner eigenen klassischen Leinenlinie nichts abgewinnen können.

W

ie er zu Molotow gekommen ist? „Ich bin mit einem Freund, der eine Jacke von mir getragen hat, als Kunde reingekommen.“ Die Jacke fiel auf, gefiel, und flugs kam Kirnes mit Molotow ins Geschäft. „Die Persönlichkeit, das Auftreten ist wichtig, wenn man als Designer Geschäfte machen will“, ist der erfolgreiche Hersteller der „Cirnes“- Kollektion überzeugt. Mittlerweile verkauft er seine Sachen nicht nur bei Molotow, sondern auch in anderen Geschäften in Berlin und Westdeutschland.

„Profitti“ ist dagegen auch für Geschäfte im Kleinformat zu haben. Gerade heute versucht die Designerin mit dem hennaroten Wildwuchs auf dem Kopf, eine Ladung Schulterpolster an Arno Karge zu verscherbeln. „Vierzig Pfennig das Stück, und du verkaufst sie weiter für sechzig“, wirbt sie. Karge will es sich überlegen. „Wahrscheinlich sind die von irgendeinem Laster gefallen und ihr zufällig vor die Füße gerollt“, vermutet er, als er die Schulterpolster Krines anbietet. Wie Profitti mit richtigem Namen heißt, hat er vergessen. Designer stehen bei ihm vor allem mit dem Namen ihrer Kollektion im Geschäft. „Leute, die bei uns gut verkaufen, kommen fast jeden Tag vorbei. Andere sehen wir seltener“, sagt er und schlürft geruhsam seinen Kaffee in der Sonne vor dem Laden. Nicht immer sind die Töne zwischen Designern und Boutiquern von der harmonischen Sorte. „Viele denken, wir sitzen den ganzen Tag rum und kassieren dafür auch noch Provision“, beschwert sich Karge. Er weiß genau, daß das nicht stimmt. Auch Nörgeleien anderer Art kommen ihm häufig zu Ohren. „Meine Sachen hängen ja wieder in der hintersten Ecke“, zitiert der Verkäufer eine geläufige Beschwerde. Doch sein Glaube an den aufgeweckten Kunden entkräftet jeglichen Vorwurf. „Wenn die Sachen gut sind, ist es egal, wo sie gerade im Laden hängen. Der Kunde findet sie.“

V

erschwindend gering, aber immerhin präsent ist bei Molotow bislang der Anteil an Design aus dem Osten der Stadt. Auf ungefähr sieben Modemacher kommt Karge bei seinen Schätzungen. Schon 1987 hatte Molotow als erstes Modegeschäft den Kontakt zu Ostberliner Designern geknüpft. Schmuck und Kleidung gingen über Diplomatenwege, aber auch am eigenen Leib über die Grenze. Eine Ausstellung zum Thema „Modedesign aus Ost- Berlin“ fand damals in der Öffentlichkeit wenig Interesse. „Erst nachdem das Fernsehen hier war, haben uns die Berliner die Bude eingerannt“, weiß der Molotow-Gründer zu berichten.

Generell sieht er beim Ost-West- Vergleich keine großen Unterschiede im Trend der Modemacher. Einzig der Preis hebt sich angenehm vom Gleichschritt ab. „Designer aus Ost-Berlin verlangen weniger für ihre Stücke“, so der Modehändler. Als Beispiel weist er auf die Schmuckkollektion einer Designerin, die verschiedene Edelmetalle miteinander verarbeitet. „Einen Ring für siebzig Mark, wo gibt's denn so was noch“, preist der Molotow-Mann seine „Juwelen“ an. Für das Preisgefälle innerhalb der Stadt macht er geringere Mieten und Materialkosten im Osten verantwortlich. „Wer für sein Atelier zweitausend Mark Miete im Monat zahlen muß, verlangt natürlich auch mehr für seine Sachen.“ Vielleicht sollte sich in Zukunft jeder Molotow-Kunde nach den Wohnverhältnissen seines Hosenschneiders erkundigen...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen