: Demokratie für „negerreines“ Mauretanien?
■ Gestern stimmten die Bürger Mauretaniens über eine demokratische Verfassung ab/ Die Opposition gegen das Militärregime von Ould Taya wächst/ Taya hat die schwarzafrikanische Bevölkerung des Wüstenstaates größtenteils vertrieben
Berlin (taz) — Als das im Nordwesten Afrikas zwischen Marokko und Senegal gelegene französisch-koloniale Verwaltungsgebiet 1960 plötzlich als Staat Mauretanien eine prekäre nationale Unabhängigkeit erlangte, bestand die Hauptstadt Nuakschott lediglich aus einer Ansammlung von Zelten. Seither aber hat sie sich als Folge zweier großer Dürren im Sahel, als Folge des zeitweisen Krieges gegen die Befreiungsbewegung „Polisario“ in der benachbarten ehemals Spanischen Sahara und des von einem kurzfristigen Erzboom geförderten Ausbaus von Staat und Verwaltung zu einem Mammut- Zelt-Slum unterentwickelt.
In diesem Slum auf Dünen lebt heute vermutlich „seßhaft“ mehr als die Hälfte der aus der Wüste zugewanderten Bevölkerung des Landes in bitterster Armut. Die meisten Behausungen sind aus Plastik und Kartons im Sand errichtet.
Mauretanien, das ist vor allem Wüste. Doch weniger das behauptete „natürliche“ Fortschreiten der Sahara als menschliches Tun hat zu diesem Zustand geführt. Im südlichen Teil Mauretaniens, am Senegal- Fluß, lebten über viele Jahrhunderte vorwiegend schwarzafrikanische Völker, die hier erfolgreichen Ackerbau betrieben. Doch immer wiederkehrende Invasionen aus Nordafrika im 11. und 14. Jahrhundert zerstörten die einst blühenden Zivilisationen. Die lokale afrikanische Bevölkerung wurde vertrieben oder zu Sklaven gemacht.
Aufgrund dieser langen historischen Entwicklung bestand bis Anfang 1989 die Bevölkerung Mauretaniens zu drei Vierteln aus hellhäutigen „Mauren“ — eine Mischung aus Arabern, Berbern und, zu einem geringen Teil, Schwarzen. Nur im Süden lebte eine schwarze Bevölkerungsmehrheit. Doch der künstliche Nationalstaat an der Nahtstelle zwischen „weißem“ und „schwarzem“ Afrika wurde seit Beginn der achtziger Jahre durch den Niedergang der Exporteinnahmen und wiederholte Dürren in eine Zerreißprobe getrieben. Maurische „Umweltflüchtlinge“ aus dem Norden sollten in den schwarzen Bevölkerungsgebieten des Südens angesiedelt werden.
Schon immer waren maurische Viehzüchter zum Beginn der jährlichen Trockenzeit mit ihrem Vieh südwärts zum Senegal-Fluß und nach Senegal hinein gezogen. Doch nach den großen Dürren der achtziger Jahre zogen immer mehr von ihnen dauerhaft in die Flußregion und versuchten sich auch als seßhafte Bauern. So konkurrierten sie immer häufiger und gewaltsamer mit den seit altersher Ansässigen um das knappe, aber wegen seiner Wasservorräte wertvolle Land.
Im Frühjahr 1989 kam es dann zu einer Reihe tödlicher Auseinandersetzungen in mehreren Dörfern. In der Folge entlud sich die latente Spannung in Pogromen. Nachdem mehrere Dutzend Schwarze in Nuakschott auf grausame Weise getötet worden waren, brach in Senegals Hauptstadt Dakar eine regelrechte Hexenjagd gegen die dort lebenden Mauren los, welche den senegalesischen Kleinhandel monopolisieren. Die überlebenden Mauren mußten über eine multinationale Luftbrücke ausgeflogen werden. Im Gegenzug entledigte sich das „weiße“ Mauretanien systematisch seiner schwarzen Mitbürger und wies sie zu Tausenden nach Senegal aus.
Von den mehreren hunderttausend Schwarzen im Süden Mauretaniens sind seitdem nur noch wenige tausend im Land — Mauretanien ist „negerrein“. Geblieben sind nur die vollständig arabisierten Nachkommen der vor Jahrhunderten versklavten schwarzafrikanischen Völker, die noch immer in sklavenähnlichen Verhältnissen ihren maurischen Feudalherren dienen. Das Fortbestehen der Sklaverei, von amnesty international ausführlich dokumentiert, bringt Mauretanien immer wieder international ins Zwielicht. Im Zuge der Wirtschaftskrise sind allerdings viele Sklaven entlassen worden und bevölkern nun als mittelloses Lumpenproletariat die Straßen Nuakschotts.
Die Arabisierungspolitik und die Frage der Menschenrechte wurde in den letzten Monaten zu einem Kristallisationspunkt für oppositionelle Gruppen gegen das Militärregime von Ould Taya, der 1984 mit einem Militärputsch die Macht an sich riß und sich in der Folgezeit eng an die arabischen Baath-Parteien in Syrien und Irak anlehnte. Zwist zwischen „Bagdad-Treuen“ und „Damaskus- Treuen“ innerhalb des Regimes, Unmut unter frankophonen Intellektuellen und Revanchegelüste der Unterlegenen des Militärputsches bildeten ein explosives Gemisch. Ihren gemeinsamen Nenner fanden diese Strömungen im November 1990, als bekannt wurde, daß über hundert inhaftierte schwarze Soldaten, wegen eines angeblichen Putschversuches in verschiedenen Militärgefängnissen festgehalten, hingerichtet worden oder nach langer Folter gestorben waren. Oppositionsgruppen und selbst der Gewerkschaftsbund verlangten eine öffentliche Untersuchung der Affäre und ein Gerichtsverfahren gegen die verantwortlichen Militärs.
Am 15. April ergriff Präsident Ould Taya die Flucht nach vorn. Er verkündete ein Referendum über eine demokratische Verfassung für den 12. Juli und freie Parlamentswahlen bis Ende 1992. Doch dies führte nur dazu, daß die Opposition Morgenluft witterte. In Nuakschott demonstrierten regelmäßig die Ehefrauen der „verschwundenen“ Gefangenen. Anfang Juni erschütterten schwere Unruhen die Hafenstadt Nuadhibou, Wirtschaftszentrum des Landes. Eine Oppositionsfront konstituierte sich am 5. Juni, ihre Führer wurden am nächsten Tag verhaftet.
Doch das Datum des Verfassungsreferendums blieb unverändert. Wenn die Bürger Mauretaniens heute mit „Ja“ stimmen, erhält der Wüstenstaat eine Verfassung, die auf dem Papier die Demokratie einführt und erstmals die Sprachen der Schwarzafrikaner als Nationalsprachen anerkennt — obwohl die Schwarzen längst nach Senegal geflohen sind. Ob dies ausreicht, das wachsende Mißtrauen gegen die Regierung zu besänftigen? Das Schicksal von Tayas Amtskollege Moussa Traore im benachbarten Mali, der im März durch einen Volksaufstand verjagt wurde und jetzt auf seinen Prozeß wartet, ist noch nicht vergessen. G. Meuer/D. Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen