: Eine Stadt liefert sich Olympia aus
■ Während in Berlin noch debattiert wird, sind die Vorbereitungen auf die Spiele in Barcelona nahezu abgeschlossen/ Für Olympia wurde die Stadt total umgekrempelt/ Ein Bericht von VERONIKA ZIMMER
Dort, wo das erste Industrie- und Gewerbeviertel Barcelonas den Blick aufs Meer versperrte, wo die erste Eisenbahnstrecke Spaniens zwischen Barcelona und Mataró verlief, wo bis 1987 noch 150 Familien lebten und 148 Gewerbebetriebe arbeiteten, wird ein neues bürgerliches Stadtviertel aus dem Boden gestampft. Das neue Stadtviertel soll — nur wenige Kilometer von der Innenstadt entfernt — am Meer liegen und mit eigenem Strand, einem eigenen Yachthafen mit 1.000 Liegeplätzen und Anschluß an das internationale Schienennetz ausgestattet sein. Der französische Superschnellzug TGV soll hier ankommen.
Mehrere prämierte Architekten planen und bauen hier 2.012 Wohnungen, einen 142 m hohen Hotelturm mit Luxusappartements zwischen dem 33. und 44. Stockwerk, einen ebenso hohen Büroturm, vier öffentliche Parks, ein neues Kongreß- Zentrum und ein Wetteramt — die notwendige Infrastruktur und vor allem die Verbesserung der Kanalisation durch den Bau einer neuen Kläranlage gehören dazu. Die erste Eisenbahnstrecke Spaniens wird ins Hinterland verlegt und führt unterirdisch unter dem neuen Stadtviertel hindurch. Nur ein unter Denkmalschutz stehender Fabrikschornstein erinnert noch an das alte Industrieviertel.
»Barcelona öffent sich zum Meer«
Vor diesem neuen Stadtteil »gewinnt« Barcelona durch die Neuanlage von einem 4 km langen Strand »das Meer zurück«, wie die Barcelonesen sagen. Eine 8 km lange neue Strandpromenade mit Bäumen, Palmen und Bänken steht schon hinter dem streng bewachten und von Zäunen umgebenen neuen Stadtteil. Die Barcelonesen haben Angst vor Anschlägen der Untergrundorganisation ETA. Denn der Anlaß für den Bau dieses neuen Stadtteils sind die Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona. Dafür wird hier das olympische Dorf gebaut.
Die ETA hat Anschläge gegen die olympischen Einrichtungen in Barcelona angekündigt und durchgeführt. Der Widerstand gegen die Städteplanung für Olympia soll darin seinen brutalsten Ausdruck finden. »Wir bauen auch für Olympia, aber wir bauen vor allem für die Zeit danach«, so berichtete Octavio Mestre Aramendia, ein für die Planung zuständiger Architekt. Barcelona will mittels der Sommer-Olympiade den ökonomischen und kulturellen Anschluß — nach 40 Jahren Franco-Diktatur und damit verbundener Isolation — an die EG finden. Die Stadt will Dienstleistungsstadt werden, die Betriebe sollen in die Umlandgemeinden ausgesiedelt werden. So, wie der industrielle »Schmutz« aus der Stadt raus soll, sollen auch die innerstädtischen Bezirke sauber und attraktiv werden. In den alten Stadtteilen jedoch, die direkt am berühmten Barrio Gotico angrenzen, stören Prostitution, Drogen und Kriminalität das Bild einer europäischen Kulturmetropole.
Paco Marin von den Associaciones des Vecinos (AdV), eine seit den 70er Jahren aktive Nachbarschaftsinitiative, dazu: »Die städtischen Probleme Barcelonas werden an den Stadtrand verdrängt.« Da das nicht ohne den Widerstand der Betroffenen möglich ist, geben die Olympischen Sommerspiele mit ihrer Attraktivität — vor allem auch für die sportbegeisterten SpanierInnen — den nötigen Rahmen, um finanziell und politisch die durchaus nicht neuen Pläne einer bürgerlichen Stadt durchzusetzen.
So soll in das olympische Dorf nach den Sommerspielen die bisher am Stadtrand bzw. in den umliegenden Gemeinden wohnende, zahlungs- und steuerkräftige Mittelschicht einziehen. 40 Prozent der 70-200m2 großen Wohnungen sind bereits verkauft. Die Preise liegen zwischen 3.000 und 5.000 DM je Quadratmeter. Hier wird der Strukturwandel besonders deutlich. Die alten Arbeiterviertel müssen dem Dienstleistungssektor weichen, sowohl für die Arbeitsplätze als auch für deren Wohnbedarf.
Unter Experten allerdings besteht Skepsis, ob dieses aus dem Boden gestampfte Viertel allen notwendigen Kriterien eines innerstädtischen Quartiers entsprechen kann. Die attraktive Lage am Meer nahe der Innenstadt führt durch ihre Anziehungskraft zur Integration in die Stadt. »Barcelona öffnet sich zum Meer« lautet das offizielle Motto. Da viele Barcelonesen den Sommer in der Stadt verbringen und dadurch die Schwimmbäder überfüllt sind, werden viele dieses neue Angebot nutzen.
Barcelona selbst ist die dichtest besiedelte Stadt Europas. 1,7 Millionen EinwohnerInnen drängen sich in der Innenstadt auf engstem Raum (im Großraum Barcelona leben ca. 4 Millionen Menschen). Doch aufgrund der natürlichen Begrenzungen — im Osten die Berge, im Norden und Süden die Flüsse Rio Besos, Rio Llobregat — kann die Stadt sich nicht ausdehnen. Sie platzt aus allen Nähten. So wurden bereits vor Jahrzehnten Pläne zur innerstädtischen Verdichtung und Umstrukturierung einzelner Viertel entwickelt. Doch Barcelona benötigte und nutzte im Laufe seiner Geschichte schon immer bedeutende internationale Ereignisse, um in einer enormen Anstrengung große städtebauliche Entwicklungen durchzusetzen. Bereits 1888 und 1928 die Weltausstellungen, die jeweils Anlaß für die Erstellung großer Bauwerke waren. Nun die Olympiade.
Die Betroffenen wehren sich
Offiziell heißt es, die Planung des olympischen Dorfes sei bei allen Beteiligten auf Zustimmung gestoßen. Doch Paco Marin von AdV berichtete von langanhaltendem Widerstand eines Teils der in diesem ersten Industrieviertel Barcelonas wohnenden Menschen. »Zwei Straßen haben sich fast ein Jahr lang gewehrt. Dann wurden sie auseinanderdividiert. Die einen erhielten neue Wohnungen, die anderen Geld.« Ursprünglich wurde versprochen, für die Umzusetzenden mit Hilfe verschiedener Experten, unter anderem auch Antropologen und Soziologen eine neue Siedlung aufzubauen. Doch das fand nicht statt. Die Leute wurden zum Teil in neue Sozialwohnungen in der Nähe umgesetzt. Von anderen BewohnerInnen aber, wie beispielsweise in der Umgebung lebende Zigeuner, weiß niemand, wo sie geblieben sind.
Diese Politik entspricht derjenigen, die Barcelonas Stadtverwaltung und Verantwortliche auch in den anderen Problemvierteln anwenden. So werden beispielsweise in Besos, dem am Meer gelegenen, direkt an das neue olympische Dorf angrenzende Stadtviertel, das bisher Stadtrandsiedlung war, die Konsequenzen der bürgerlichen Stadtplanungen immense Auswirkungen haben.
Besos ist ein Viertel gewesen, in dem sich die aus der Stadt Vertriebenen, überwiegend »soziale Problemgruppen«, bereits seit 15 Jahren angesiedelt hatten. Paco Marin, Vorsitzender von AdV und Vizedirektor des dortigen Gymnasiums, erwartet, daß nur ein Teil von Besos die jetzt zu erwartende Veränderung verkraften wird. Im anderen Teil ist bereits, wie er es nennt, der »Krieg von Besos« ausgebrochen. Dieser »Durchgangsort« für Menschen, die versuchen, sozial wieder Fuß zu fassen, sollte abgerissen werden und die Menschen über das ganze Land verteilt werden. Dieser von den Associaciones des vecinos vor zwei Jahren aufgedeckte Plan wurde nach massiven Protesten offiziell fallengelassen. Jetzt werden 800 Millionen Peseten (rund 13 Millionen DM) in die Sanierung des Viertels gesteckt, wovon der größte Teil jedoch in die kosmetische Sanierung, in die Fassadengestaltung und nicht in die Sanierung zur Substanzerhaltung und vor allem -verbesserung fließen. AdV sieht in dieser städtischen Politik das Bestreben Barcelonas, auch die bisherigen Stadtrandgemeinden und sozialen Problemviertel durch Vertreiben der jetzigen Bewohner in das Bild der bürgerlichen Stadt einzuverleiben. Die sozialen Probleme der Stadt sollen wiederum aus dem Blickfeld verdrängt werden.
Barcelona, posa't guapa — Mach dich schön!
Nach diesem Motto wird auch die Wohnumfeldverbesserung in der Sadt geplant. Wesentlicher Teil dieses Programms ist die Neuschaffung von 150 städtischen Plätzen. Mittels Enteignungen und Entschädigungen wurden in den letzten acht Jahren 150 Plätze gebaut, die die Wohnqualität in den jeweiligen Barrios verbessern sollten. Die BewohnerInnen wurden zwar offiziell in die Planung mit einbezogen, doch die Stadtverwaltung ließ den beauftragten Architekten weitgehend freie Hand, um eine »Monumentalisierung« der Plätze zu erreichen, die mit unterschiedlichen architektonischen Elementen eigene Charaktere aufweisen sollten. Der Planer Aramendia dazu: »Wenn wir alles gemacht hätten, was die Bewohner wollten, hätten wir in den letzten acht Jahren nichts geschafft.«
Viele dieser Plätze sind angenehm zu begehen, sich darin aufzuhalten und zu entspannen. Andere jedoch führen zu architektonischen Kuriositäten: So soll ein Zaun aus Metallstäben die Baufluchtlinie wieder herstellen, doch der Platz dahinter wird dadurch unbenutzbar.
Die »gefährlichen« und gefährdeten Viertel
In großen Teilen der Altstadt, im Barrio El Raval, La Ribera und auch in Teilen des Barrio Gotico sind die Wohnungen klein, dunkel und sehr mangelhaft mit sanitären Einrichtungen ausgestattet. Die Kriminalitätsrate, Prostitution, Drogenhandel und -abhängigkeit und die Arbeitslosigkeit sind sehr groß. Die Stadt hat nicht genügend Geld für die Privatisierung dieser Viertel. Sie will Schwerpunkte setzen und das private Kapital anlocken. So werden beispielsweise in El Raval, wo die Bevölkerungszahl in den letzten 20 Jahren von 120.000 auf jetzt 40.000 gesunken ist, durch Abriß der Altbausubstanz, teilweise nach Leerstand, teilweise nach Umsetzungen der BewohnerInnen, öffentliche Einrichtungen wie Museen, Universitätsgebäude und neue Sozialwohnungen gebaut und dadurch neue Strukturen geschaffen, die dieses ehemals wirtschaftlich und städtisch bedeutsame Viertel wieder in die übrige vorzeigbare Stadtstruktur einbinden soll. Die Miet- und Preisstruktur der dann gebauten Wohnungen werden jedoch nicht der Finanzkraft der jetzt dort lebenden Menschen entsprechen. Das ist auch gar nicht beabsichtigt. »Durchmischung« ist das Zauberwort, daß auch diese Innenstadtviertel links und rechts der berühmten Rambla dem Bild der Kulturmetropole anpassen soll. Offiziell heißt es, daß die jetztigen Bewohner nicht verdrängt werden sollen, sondern die Möglichkeit bekommen, hier in neue Wohnungen einzuziehen. Da jedoch der Stadt die dafür notwendigen Finanzen fehlen und die bereits begonnen Planungen zur Durchmischung mit Einrichtungen für die bürgerliche Mittelschicht eine andere Sprache sprechen, sind dies nur Beschwichtigungen. Ein Beteiligungsverfahren mit konkreten Mitsprache- und Einspruchsrechten für die jetzt dort lebenden Menschen gibt es bei der Umgestaltung des Viertels nicht.
Diesen fehlen die Juristen, die ihre Rechte vertreten. In den 70er Jahren waren die AdV stark, bildeten sich aus den Betroffenen heraus, doch je mehr Einfluß die Liberalen und Linken in den entsprechenden städtischen Ämtern erhielten, desto mehr ebbte die Selbstinitiative der Betroffenen ab.
Erstaunlich, daß der Widerstand der betroffenen Bevölkerung relativ gering bleibt. Der Grund dafür liegt sicher auch in der Streuung der sich verändernden Gebiete über die ganze Stadt. Und fast überall in Barcelona wird zur Zeit gebaut. Da fallen diese Gebiete gar nicht auf. Das ist die andere Seite der vielgepriesenen Stadterneuerung Barcelonas.
Durch die Streuung der Baumaßnahmen und den erwarteten ökonomischen und kulturellen Anschub infolge der Olympiade '92 erklärt sich auch, daß die im Rahmen von Olympia 1992 gebaute neue Ringstraße um Barcelona herum, fast einer Stadtautobahn gleich, ohne Widerstand mitten durch Villenviertel, direkt an kleinen städtischen »Schlössern« der betuchten BürgerInnen vorbeiführt.
Barcelona beharrt auf dem alten Ideal des Individualverkehrs, in dem Wissen, daß die Stadt darunter ersticken wird. Die Alternative, der von allen für sinnvoll erachtete Ausbau der Metro, scheiterte an den enormen Kosten, am Statussymbol Auto und an parteipolitischen Streitigkeiten.
Olympia erfordert enorme bauliche Investitionen
Die für Olympia neu gebauten Sportstätten liegen auf dem Montjuice, dem 173 Meter hohen Felsenhügel, dem »Berg der Juden«. Auf diesem am Hafen gelegenen Hügel entstanden bereits 1929 zur Weltausstellung das heutige Messegelände, Parks und Sportstätten. Sie werden jetzt für 20 Milliarden DM zum Anell Olympic (Olympischer Ring) ausgebaut. Das für die nicht durchgeführten Olympiade 1936 erbaute Stadion wird erweitert.
Das olympische Dorf sowie ein Mediendorf für 10.000 MedienvertreterInnen aus aller Welt ist weitgehend im Bau. Der alte Hauptbahnhof in Sants wird renoviert. Auf dem Tibidabo, von dem es einen herrlichen Blick über Barcelona aufs Meer gibt, wird ein neuer, 268 Meter hoher Telekommunikationsturm, »La Torre de Collserola«, des Briten Norman Foster gebaut. Doch das ist längst nicht alles. Die Stadt wird umgekrempelt. Und so sollen im Rahmen von Olympia der Flughafen und der Bahnhof um- bzw. ausgebaut werden und diverse Kulturzentren eingerichtet werden. Im Stadtteil El Raval wird ein neues Museum für zeitgenössische Kunst gebaut, das Palau Nacional de Montjuice soll nach dem Um- und Ausbau zu einem der größten Museen von Europa werden. Teile der alten Hafenanlagen und Promenaden sind bereits erneuert worden. Nur die Ringstraße wird vermutlich nicht rechtzeitig zu den Olympischen Sommerspielen fertiggestellt.
Die Hotelbetten sollen schon fast ausgebucht sein. Doch Barcelona will sich etwas einfallen lassen, so daß wenigstens die zahlungskräftigen Gäste aufgenommen werden können: Luxusliner werden im erneuerten Hafen ankern. Freiluftkonzerte, Theateraufführungen und zahlreiche Ausstellungen werden die Spiele begleiten. Auch Berlin wird sich als Olympia-Stadt in Barcelona darstellen: im Miró-Museum auf dem Montjuice.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen