: Frankreichs Jägerlobby schüchtert Politiker ein
EG-Regelungen werden auch hier mißachtet/ Die „Liste Jagd, Fischerei, Tradition“ erreichte vier Prozent bei den Europawahlen 1989/ Gegen kritische Landwirte werden die Herren Grünröcke manchmal auch rabiat ■ Von Ines Possemeyer
In Frankreich hat die Jagd als Volkssport ihren Ursprung im Jahre 1789, als im Zuge der französischen Revolution auch das Jagdprivileg des Adels abgeschafft wurde. Seither erfreuen sich weder der Fußball noch das Boule-Spiel so vieler Anhänger. Rund 1,7 Millionen Jäger und 25.000 Jägerinnen gehen auf die Pirsch und erlegen jährlich 140.000 Stück Hochwild sowie 30 Millionen Stück Kleinwild. Die Jäger haben sich zu einer mächtigen Interessengemeinschaft zusammengefunden, die vor allem verhindern will, daß das großzügige Jagdrecht in Frankreich den strengeren europäischen Richtlinien unterworfen wird.
Rechtzeitig vor den Europawahlen im Juni 1989 gründeten sie ihre eigene Partei, die Liste „Jagd, Fischerei, Tradition“, die mit pathetischen Sprüchen wie „Männer und Frauen der Erde und des Wassers, die Natur ist unsere Kultur“ bei der Wahl auf beachtliche 4,13 Prozent kam. In einigen Departements der traditionellen Jagdregionen im Südwesten Frankreichs erhielt die Jägerliste sogar weit über zehn Prozent der Stimmen.
Auch über die eigene Partei hinaus versucht die Jagdlobby, ihr Wählerpotential für ihre Interessen einzusetzen. So schickt die „Nationale Union der Jagdverbände“ seit langem regelmäßig vor Wahlen allen Kandidaten, bis hin zu den Präsidentschaftsanwärtern, Fragebögen zum Thema Jagd zu. Schwarz auf weiß legen sich die Politiker darin auf Positionen und Versprechen fest, an die sie notfalls später erinnert werden können. Die uneingeschränkte Ausübung des Hobbys geht sogar vor allgemeine Parteisympathien. So erklärte ein Gaullist, wenn nötig wähle er sogar einen Kommunisten — solange dieser die Finger vom Jagdrecht lasse.
Dementsprechend zaghaft sind die Versuche der Politiker, an den Jagdgewohnheiten zu rütteln. Das französische Umweltministerium, das für die Termine der Jagdsaison zuständig ist, beauftragt zwar alljährlich eine Untersuchung über Zugvogelbewegungen und Brutzeiten in Frankreich, eröffnet dann jedoch die Saison immer wieder einige Wochen früher als von den Forschern empfohlen. Gerade die Zugvögel, deren Jagd nach europäischen Richtlinien verboten ist, müssen in Frankreich häufig ihr Leben lassen.
Das Argument der Jäger, sie sorgten für einen ausgeglichenen Tierbestand, trifft nach Ansicht des Vogelforschers Guy Jarry allenfalls für größeres Wild zu. Besonders in gepachteten Revieren seien die Jäger jedoch häufig eher auf große Beute denn auf einen ausgeglichenen Tierbestand aus und betrachteten besonders die Vögel dabei nicht selten als Freiwild.
Wo es den Jägern an Beute fehlt, wird nachgeholfen. Züchter im In- und Ausland ziehen Millionen Fasane und Hunterttausende Hasen speziell für die Jagd auf. Die Tiere werden kurz vor Saisonbeginn in die Freiheit entlassen.
Nicht nur das „ökologische Gleichgewicht“, das die Jäger angeblich erzielen, ist somit fragwürdig. Neben den erlegten Tieren müssen auch häufig noch andere ihr Leben lassen. So weist der Vizepräsident der „Vereinigung der Jagdgegner“, Serge Boutinot, auf die gravierenden Folgeschäden der von den Jägern verwandten Schrotkugeln hin. Angeschossene Tiere und Wasservögel, die umherliegende Bleikugeln für Steinchen halten und aufpicken, sterben qualvoll an Bleivergiftung. Rund die Hälfte aller Enten, schätzt Boutinot, sind bereits betroffen.
Die Jäger beschränken ihr Revier nicht auf das gepachtete Gebiet. Nicht nur Naturschutzgebiete sind für sie kein Hindernis, in vielen Regionen müssen sie auch vor Privatgrundstücken nicht Halt machen, denn oftmals hat die kommunale Jagdgemeinschaft für das gesamte Gebiet uneingeschränktes Jagdrecht. Nach langwierigen Gerichtsverfahren ist es erst zwei Grundstückseignern gelungen, ein Jagdverbot auf ihrem Boden durchzusetzen. Die meisten schrecken jedoch davor zurück, sich der uneingeschränkten Jagd zu widersetzen, denn das bedeutet in den meisten Fällen, sich mit dem Bürgermeister und einem Großteil der Dorfgemeinde anzulegen.
Darüber hinaus hat der Protest manchmal unerfreuliche Folgen. So fand ein Bauer sein Auto verbrannt vor und ein anderer mußte seine Gegnerschaft mit dem Tod einer Kuh bezahlen. Es bleibt dann bei der Jagd vorläufig alles beim alten.
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