: Neu im Kino: "Miracle"
■ Irland-Träume, Strand-Dramen
Leute beobachten und zu ihnen passende Geschichten erfinden: Das ist das Spiel von Rose und Jimmy — zwei Jugendlichen, die an einem langweiligen irischen Badeort ihre Sommerferien verbringen. Regisseur Neil Jordan lebt tatsächlich in diesem irischen Badeort Bray, und als er das Drehbuch zu diesem Film schrieb, konnte er durchs Fenster auf die Strandpromenade sehen, auf der ein Großteil des Filmes gedreht wurde. Und genau wie in dem Film Jimmy und Rose eine geheimnissvolle blonde Dame beobachten und sich eine Geschichte zu ihr ausdenken, hat er wahrscheinlich am Strand zwei junge rothaarige Iren gesehen und erzählt von ihnen in diesem Film.
Dieser dramaturgische Dreh — Geschichte in der Geschichte — ist das Schönste an „Miracle“. Immer dann, wenn der Film droht, in ein düsteres Melodram umzukippen, machen Rose und Jimmy wieder einen Spaziergang am Strand, und Rose erklärt ihrem etwas begriffsstutzigen Freund die Tatsachen des Lebens und der Literatur. Die etwas pummelige und strubbelige Lorraine Pilkington ist in ihrer ersten Rolle die eigentliche Heldin des Filmes: mit den besten Dialogstellen und einer frischen, gleichzeitig verletzlichen und selbstbewußten Ausstrahlung.
Jordan selber versteht seinen Film als „Portrait einer Welt, in der die Erwachsenen völlig daneben sind und die Jugendlichen in Ordnung“. Jimmy als stets „angry young man“ geht einem zwar mit der Zeit auf die Nerven, und sein Abenteuer mit der mysteriösen Blonden entpuppt sich als klassisches Familiendrama. Aber auch Jimmy wird von den Künsten gerettet: was für Rose die Literatur, ist für ihn die Musik, und wenn er (mit dem geliehenen Ton des britischen Jazzstars Courtney Pine) auf seinem Saxophon bläst, vergißt man schnell die Leidensmiene, mit der er sonst durch den Film läuft.
„Miracle“ erzählt auch von der glücklichen Heimkehr des Regisseurs Neil Jordan, der nach einigen sehr schönen irisch/britischen Filmen nach Hollywood ging, um dort mit „High Spirits“ und „We're no Angels“ enttäuschende Routinearbeiten zu drehen. Meist finden Regisseure danach nicht mehr zu ihrem eigenen Stil zurück, aber an „Miracle“ erinnert zum Glück wieder vieles an Jordans frühere Filme. Wie schon in „Angels“ ist der jugendliche Held ein Musiker, der in Ballrooms Tanzmusik spielt, und auch in „Mona Lisa“ spielte das Finale an der Uferpromenade eines Badeortes. Jordan hat den Absprung vom Hollywood-Kino noch einmal geschafft — vielleicht ist dies das Wunder von „The Miracle“. Wilfried Hippen
Schauburg tgl. 20.30 Uhr / außer Fr. u. Sa. auch 22.30 Uhr
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