: Verheizte Heimat
■ Allen Protesten zum Trotz will es die Düsseldorfer Landesregierung am Dienstag beschließen: das neue Riesenloch für den Braunkohletagebau, südlich von Mönchengladbach. 12.000 Menschen leben noch dort.
Noch 15 Jahre lang werden sich die Baggermonster der Rheinischen Braunkohlewerke AG („Rheinbraun“), eine Tochter der RWE, durch das Riesenloch Garzweiler I wühlen. Das Dorf, nach dem dieser Tagebau benannt ist, ist schon fast weg, die Dorfbevölkerung auch, umgesiedelt nach Neu-Garzweiler im Norden von Jüchen. Wenn es nach den Plänen von Rheinbraun geht, werden die Bagger etwa im Jahr 2010 das Dorf Otzenrath westlich der Autobahn 44 verschlingen. Das wäre der Anfang von Garzweiler II, einem neuen, gigantischen Braunkohleloch, gleich südlich von Mönchengladbach. Nächste Woche entscheidet die nordrhein- westfälische Landesregierung, ob das Projekt Wirklichkeit wird.
Verzweifelt versuchen Bürgerinitiativen, die vom Bagger bedrohten Gemeinden und Kreise, Pfarrer, Naturschutzverbände und die Grünen im Düsseldorfer Landtag diese Entscheidung aufzuhalten. Jetzt, kurz vor Toresschluß, werden auch die beiden anderen Oppositionsparteien, CDU und FDP, richtig wach: „Die Landesregierung sollte auf ihre für den 24. September angekündigte Leitentscheidung zu Garzweiler II ganz verzichten oder sie verschieben“, so der FDP-Fraktionsvorsitzende Achim Rohde. Alle drei haben für kommenden Dienstag eine Sondersitzung des Landtags gefordert. Sie findet nur wenige Stunden vor der Kabinettsentscheidung statt.
Es wäre eine Sensation, wenn die guten Argumente gegen das Projekt noch Einfluß auf das Votum der Landesregierung haben würden. Das gesetzlich verankerte Braunkohle-Genehmigungsverfahren verläuft etwa so demokratisch wie Genehmigungsprozeduren im Atomrecht. Die Landesregierung entscheidet ohne das Parlament, die betroffenen Menschen und die Natur haben keine Lobby, bei Rheinbraun dagegen sitzt Wolfgang Clement im Aufsichtsrat, der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei.
Daß das Kabinett folglich auch der noch laufenden Landtagsanhörung zu den sozialen, ökologischen und wasserhaushaltlichen Auswirkungen sowie den energiepolitischen Voraussetzungen für Garzweiler II keine Bedeutung beimißt, zeigt schon die Terminplanung: Wenn am 11. Oktober der zweite Teil der Wissenschaftler-Anhörung steigt, ist die Leitentscheidung zu Garzweiler II, „eine der wichtigsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode“ (Regierungserklärung), schon gefallen.)
Garzweiler II oder Frimmersdorf West-West soll sich 66 Quadratkilometer weit zwischen Mönchengladbach und Erkelenz erstrecken. In den Jahren 2005 bis 2045 will Rheinbraun hier jährlich 50 Millionen Tonnen Braunkohle abbaggern. 12.000 Menschen aus 18 Orten sollen dafür umgesiedelt werden. Ende des kommenden Jahrhunderts dürfen die Urenkel der Vertriebenen dann in einem über 30 Quadratkilometer großen, neu bepflanzten Restloch mit See in der Mitte spazierengehen.
Garzweiler II ist der Anschlußtagebau für den sich jetzt südlich von Jüchen gen Westen fressenden Tagebau Garzweiler I. Die Landesregierung hat in ihrer letzten Leitentscheidung von 1987 die jährliche Braunkohleförderung auf 120 Millionen Tonnen festgelegt, aus Garzweiler II wird mit 50 Millionen Tonnen fast die Hälfte der jährlichen Menge kommen. Noch ist die Braunkohle wirtschaftlich bedeutend: 20 Prozent des bundesdeutschen Stroms und fast 40 Prozent in NRW werden aus Braunkohle erzeugt.
Mit Garzweiler II setzt die SPD, im Schulterschluß mit der IG Bergbau und Energie, die für 15.000 Rheinbraun-Beschäftigte eintritt, weiter auf die heimische Braunkohle. Für die Grünen dagegen, so ihr umweltpolitischer Sprecher Gerd Mai, „zementiert Garzweiler II eine uneffektive und klimaschädliche Energiepolitik“. Auch Teile der NRW-CDU und die FDP verlangen inzwischen, so lange nicht über Garzweiler II zu beschließen, bis Entscheidungen über „einen zukünftigen Energiemix“ für ganz Deutschland (CDU), insbesondere aber ein Energiewirtschaftskonzept der Bundesregierung für die Braunkohle aus west- und ostdeutschen Tagebauen (FDP), vorlägen.
Übertroffen werden die energiepolitische Kritik und die Folgen der sozialen Verwüstungen durch die Massenumsiedlungen im rheinischen Revier jedoch von den enormen ökologischen Zerstörungen, die mit einer Entscheidung für Garzweiler II eingeleitet würden. Braunkohle kann im Tagebau nur trocken gewonnen werden, wenn zuvor das Grundwasser abgepumpt, wenn „gesümpft“ wird. Rheinbraun leitet jährlich 800 Millionen Kubikmeter Trinkwasser (zu 70 Prozent ungenutzt) in die Flüsse. Eine unvorstellbare Menge, mit der etwa vierzig mittelgroße Städte versorgt werden könnten.
Durch die Sümpfungen sinkt im weiten Umkreis der Grundwasserspiegel. Für Garzweiler II würde das Wasser auch unter dem holländisch- deutschen Naturpark Maas- Schwalm-Nette weggezogen. Dieses Gebiet ist ökologisch von unschätzbarem Wert, weil es als das letzte große, typisch niederrheinische Feuchtwaldgebiet übriggeblieben ist. In den Erlen-Bruchwäldern und an den Seen des Maas-Schwalm-Nette-Gebiets leben Tiere und Pflanzen in höchst empfindlichen Kleinbiotopen, die anderswo — teils in ganz Westeuropa — ausgerottet sind. Schon eine Senkung des Grundwasserspiegels um nur 20 Zentimeter würde den Tod der auf diesen Lebensraum spezialisierten Flora und Fauna bedeuten.
Der Landesregierung ist bewußt, über welchen Schatz sie entscheiden wird. Umweltminister Klaus Matthiesen machte schon 1987 den Naturpark zum „Knackpunkt“: „Wenn das Schwalm-Nette-Gebiet kaputtgeht, gibt es für mich kein Garzweiler II.“ Weil die Grundwasserabsenkungen für Garzweiler II — da sind sich alle Experten bis hin zu denen der Rheinbraun einig — den Naturpark trockenlegen und damit vernichten würden, will Matthiesen, daß Rheinbraun als „Ausgleichsmaßnahme“ abgepumptes Grundwasser so wieder versickern läßt, daß der Wasserstand im Schwalm- Nette-Gebiet auf heutigem Niveau erhalten bleibt.
Sicher ist, daß das Feuchtgebiet mindestens bis zum Jahr 2100 an den Tropf gelegt werden müßte, ein „bestürzender Gedanke“, wie Willi von der Beek, der Geschäftsführer des Schwalm-Nette-Verbandes, formulierte. Zwar hält eine Mehrheit der von der Landesregierung bestellten Gutachter dies für „technisch machbar“. Doch es ist längst nicht sicher, daß das künstlich gespeiste Feuchtgebiet überleben würde. Um „jedes Restrisiko“ zu vermeiden, will Umweltminister Matthiesen nun, wie er kürzlich durchblicken ließ, nur einer Leitentscheidung für einen um ein Drittel verkleinerten Tagebau Garzweiler II zustimmen, für den 4.000 Menschen weniger umsiedeln müßten.
Angesichts der Zerstörungen durch Garzweiler I, die schon heute den Schwalm-Nette-Park erreicht haben, bezweifeln allerdings die KritikerInnen, daß dies die Rettung bedeuten könnte. Ihnen drängt sich der Verdacht auf, daß von Anfang an der kleinere Tagebau — im Schatten der Proteste gegen den größeren — durchgezogen werden sollte. Hielt doch schon 1987, bevor überhaupt ein einziges Gutachten erstellt war, der damals zuständige Abteilungsleiter im Umweltministerium es für „durchaus vorstellbar“, daß das Projekt reduziert werde. Und dennoch gibt es bis heute keine ökologischen Folgenabschätzungen für „die Zweidrittellösung“, wie die Sprecherin des Umweltministeriums einräumt.
Gleichwohl soll die Leitentscheidung fallen. Ob das Schwalm-Nette- Gebiet überlebt, wird nicht zuletzt von Klaus Matthiesen abhängen. Läßt er sich an sein Wort vom „Knackpunkt“ heute noch erinnern — oder ließ er es seinerzeit nur PR- mäßig knacken? Bettina Markmeyer
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