: Ideologische und industrielle Denkmal-Landschaften
■ 9. Sitzung des »Stadtforums«: Künftige Industriestandorte — Kein Abriß, kein Denkmal/ »Bilanz« des Forums und Kritik: »Offene Planung« gefordert
Der Senator für Stadtentwicklung muß es ja wissen: »Das System des Forums beeinflußt das System draußen«, sagte er vor dem »Stadtforum«, als wollte er sich selbst von der Durchschlagsfähigkeit des von ihm eingerichteten Planungsgremiums überzeugen. Volker Hassemer war am Wochenende auf der neunten Sitzung des Stadtforums, das über die Themen »Bilanz des Forums«, »Zukünftige Industriestandorte Berlins« und — quasi als Zwischenspiel — über den Streit um das Friedrichshainer »Lenin-Denkmal« diskutierte, gleich mehrfach ins Feuer der Kritik geraten, hatte es sich doch der Senator bei den Widersachern des Forums in letzter Zeit verpatzt.
Noch immer scheint das Forum aus dem Schatten eines Debattierklubs zur Beruhigung des demokratischen Gewissens nicht herausgetreten zu sein. Vielmehr drohe das »Experiment Stadtforum«, referierte Helga Faßbinder, eine der MitinitiatorInnen des Gremiums, zu scheitern, würde gegenseitiges Vertrauen verspielt. Denn »draußen« werden nach wie vor Deals über Dienstleistungsstandorte abgeschlossen, Entscheidungen über Olympia-Sportstätten getroffen und Stadtplanung von der Treuhandanstalt gemacht, ohne daß im Stadtforum jemals über die Themen ausführlich diskutiert wurde. Es könnte sich als einzigartiges Werkzeug erweisen, wenn gesichert wäre, daß hinter den Kulissen nicht bereits Entscheidungen vorbereitet — wenn nicht gar durchgesetzt — würden. Daß Hassemer das alles nicht wahrhaben will und weiter glaubt und meint, alles sei im Butter, sollte man seiner Professsion als Politiker zuschreiben.
Das Stadtforum sei »ein Ort der Kritik«, maulte der Berliner Architekt und Publizist Robert Frank in einem bühnenreifen Auftritt. Doch würden »Widersprüche in der Diskussion oft nicht zugespitzt«, sondern im Resultat harmonisiert. Der »Informationsfluß« sei »nicht transparent«. Die Bezirke kämen kaum zu Wort und die Empfehlungen der Runde würden unzureichend dargestellt. Das Forum sei eine »Problematisierungsinstanz«, merkte der Berliner Planer Gerd Neumann an. Anstatt sich zu einem Ort »öffentlicher Planung« zu wandeln, wie sich Helga Faßbinder ausdrückte, fehle die »Integration der in der Stadt noch arbeitenden Gruppen«.
Auch beim »Lenin-Denkmal« mauerte der Senator; zwar weniger heftig als sein Parteifreund Liepelt in der Presse, der das »Panoptikum realsozialistischer Verirrungen« am liebsten in einem Park (für »entartete« Denkmäler?) ausgestellt sehen will. Doch mit Vehemenz plädierte Hassemer gegen den Verbleib des Denkmals im Ostteil der Stadt. »Wer aber gibt den Denkmalpflegern das Recht, etwas unter Denkmalschutz zu stellen. Doch wohl niemand«, sagte er zu dem verdutzten Auditorium. Kennt Volker Hassemer das Berliner Denkmalschutzgesetz nicht? Das Forum votierte allerdings »gegen das Verdammen der Erinnerung und das Herausnehmen Lenins aus der Geschichte« (Neumann) und appellierte an den Senator, den Abriß zu überdenken. Bevor man den roten Riesen schleifen sollte, merkte der Ostberliner Stadtplaner Krause an, solle man sich erst einmal überlegen, »was an seiner Statt entstehen könnte«.
Auch überdenken sollten die politischen Planer den Abriß von klassischen Berliner Industriestandorten: Innerhalb kürzester Zeit würden, so die Prognosen von Hans Heuer (DIW), durch den »dramatischen Strukturumbruch im Ostteil der Stadt bis zu 100.000 Arbeitsplätze« im produzierenden Gewerbe verlorengehen und durch die boomende Terziärisierung eine »Verdrängung von kleineren und mittleren Betrieben aus der Innenstadt« stattfinden. Randwanderungen, so Heuer, haben in der Vergangenheit vergleichbare Ballungsräume vorgemacht — mit zweifelhaftem Erfolg für die städtische Struktur und Wirtschaft. Die Anteile der Arbeitsplätze des produzierenden Gewerbes, so Heuer, liegen etwa im Kerngebiet Hamburgs bei 55 Prozent und in der polizentral gegliederten Region Stuttgart mit 28 Prozent besonders niedrig; im Unterschied zu Berlin mit rund 77 Prozent der Beschäftigten im historischen Bereich.
Statt der Industriestandorte Berlins in Oberschöneweide, Treptow und Köpenick, könnten die Gebiete bei Falkensee und südlich der Metropole zu berüchtigten Gewerbestandorten auf der grünen Wiese werden. Eine Abwanderung von Betrieben könnte durch die »Aufwertung der östlichen Gewerbegebiete« und ein »Flächenmanagement«, so Heuer, nicht aufgehalten, aber gebremst werden. Der Treuhandanstalt warf Heuer vor, die Prozesse der Abwanderung und Umnutzung zu beschleunigen, indem beim Verkauf von Betrieben und Grundstücken lediglich auf die Preis- und zu wenig auf die »Arbeitsplatzkomponente« geachtet würde. »Folgt die Stadtentwicklung weiter der Bodenpreisentwicklung der Treuhand?«, fragte da Michaele Schreyer (AL) provozierend.
Zweifel an Heuers Wanderungsprognosen ins Berliner Umland kamen im Stadtforum auf, erscheint doch die »Fabrik der Zukunft« als »Stadtfabrik«, wie Dieter Scholz von der IG Metall Berlin-Brandenburg feststellte — übrigens in Übereinstimmung mit seinem Kontrahenten von der Arbeitgeberseite, Joachim Putzmann von der Berliner Siemens AG. Fabriken seien in Zukunft nicht mehr gekennzeichnet von rußigen Schloten. Die zukünftigen mikroelektronischen Produktionen brauchten keine Flachbauten am Stadtrand, sondern könnten im traditionellen Geschoßbau in der Innenstadt stattfinden. Arbeiten konzentriere sich deshalb auf Standorte innerhalb der Stadt. Der veraltet erscheinende Industriebau könne so »re-urbanisiert« werden.
Die klassischen Industriestandorte Berlins mit den berühmten Architekturen von Peter Behrens für die AEG in Moabit und die Nationalen Automobilwerke Oberschöneweide dürfen nicht zu Restposten für Denkmalschützer werden. Statt nostalgischer Musealisierung sei die »Nutzung die beste Denkmalpflege«, forderte Norbert Huse. Die Standorte der Industrie, referierte der Münchener Kunsthistoriker, waren für die Geschichte der Berliner Stadtentwicklung »prägend.« Narva, beispielsweise, sei ein Ensemble von hohem städtebaulichen Wert, den man nicht verspielen sollte. Indem man die »Produktion sichert, sichert man das Denkmal«. Der »Weiterbau« der Architektur sei deshalb notwendig, nicht der Abriß. Huse sprach sich für die Nutzung der »industriellen Denkmal-Landschaften Berlins« aus und erinnerte an die große soziale Wertigkeit von Wohnen und Arbeiten, die unter dem Namen »Berliner Mischung« nicht zur Geschichte abgestellt werden darf. Rolf Lautenschläger
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