: „Die schönsten Jahre gestohlen“
■ Neu erschienen: Die Geschichte eines italienischen Zwangsarbeiters in Bremen
Sie ist 25, er 26 Jahre alt, als 1939 der Krieg und ihre Trennung beginnt. Nacheinander müssen Girgina und Attilio Buldini ihr kleines Haus am Stadtrand von Bologna verlassen. Attilio wird zunächst auf der Insel Elba stationiert. Später, am 8.September 1943, als Mussolini längst entmachtet und aus dem befreundeten Deutschland ein Feind geworden ist, transportieren ihn deutsche Soldaten aus Italien nach Bremen. Hier wird er zu Aufräumarbeiten im Bombenhagel gezwungen.
Gigina flüchtet derweil vor alliierten Bombern auf einen Bauernhof ihrer Verwandten. „Attilio hat sich Sorgen um uns gemacht.“ Und: „Das hat weh getan, ich allein mit Giampiero, und er so weit weg“, erinnert sich Gigina. Vierzig Jahre später erzählt das Ehepaar dem Bremer Autor und Hochschullehrer Christoph Schminck-Gustavus ihre Geschichte. Aus der Reise in die „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, wird das soeben erschienene Buch: „Die schönsten Jahre“
„Sie haben uns zum Bahnhof gebracht und auf Viehwaggons verladen“, sagt Attilio, „In jeden Wagen 40 oder 45 Mann. Dann von außen zugemacht und verriegelt. Und ab: Piombino, Pisa, immer hoch nach Norden.“ Während der Fahrt schreibt er Nachrichten an seine Frau, auf Papierfetzen, und wirft sie durch die Ritzen des Waggons: 'Die bringen mich nach Norden. Ich bin gefangen.' Einer der Zettel erreicht Gigina tatsächlich.
„In dem Moment damals habe ich gedacht, daß ich sie nicht wiedersehen würde. Gigina und Giampiero, unser Kind. Es war krank. Kinderlähmung.“ Unendlich lange dauert der Transport für die Gefangenen. Dann, am fünften Tag die ersten deutschen Worte: „Raus! Alles raus! Marsch, marsch! Schneller! Dalli! Dalli!“ Das Lager Sandborstel in Bremervörde ist vorläufige Endstation.
Attilio war einer von den etwa 600.000 italienischen Gefangenen, die bis November 1943 verschleppt wurden. Arbeitseinsätze gab es zwar in Sandborstel nicht, dafür stundenlange Appelle. „Der Hunger war unser Hauptproblem, denn sie haben uns fast verhungern lassen. Es gab nur eine ekelhaft stinkende Brühe, 'Suppe' genannt. Wenn wir sie trotzdem aßen, dann nur, weil der Hunger nicht mehr auszuhalten war“, erinnert sich Attilio.
Zweite Station: Das Arbeitslager in Sebaldsbrück. Heute steht in der Vahrer Straße 193 ein Plaza-Supermarkt. Damals waren es 43 Holzbaracken. „Ich kam in die letzte Kolonne. Das war vielleicht die schlimmste. Wir mußten die Kanalisation reparieren, wo Bomben runtergegangen waren: Kloake, Gestank, Scheiße.“ Später mußten die Italiener für den Bau von insgesamt 116 Hochbunker und Stollen herhalten. 60 Arbeitswochenstunden unter quälendem Hunger in Dreck und Kälte. „Aber weißt Du: Selbst da hat mich Giampiero gerettet. Der Gedanke: 'Du mußt nach Hause. Du kannst Gigina nicht mit dem Kind alleine lassen.' Wie hättest Du sonst diese ganzen Quälereien aushalten sollen?“
Gigina ging es inzwischen nicht viel besser: „Wenn sie nachts Bologna angriffen, brannte der ganze Himmel. Wir haben gezittert vor Angst.“ Erst als Attilio endlich 1945 nach Hause kommt, erfährt er, daß Gigina 22 Monate ohne Nachricht geblieben war — außer dem Zettelchen aus dem Zug und der Gefangenenkarte ist keiner seiner Briefe je angekommen. Gigina: „Die schönsten Jahre — die haben sie uns gestohlen.“ Birgit Ziegenhagen
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