„The Show must box on!“

Der Profiboxer Michael Watson liegt seit seinem WM-Fight vom vergangenen Samstag im Koma Der 'Daily Mirror‘ bügelte die zu erwartenden Kritiken am britischen Boxgeschäft präventiv ab  ■ Von Ralf Sotscheck

Der 'Daily Mirror‘ hat alles Irdische getan — jetzt ist Gott dran. Robert Maxwells Londoner Schmierenblatt, das den Boxkampf um den Weltmeistertitel zwischen den beiden Briten Chris Eubank und Michael Watson gesponsert hatte, rief das Volk zum Beten für Watson auf. Der liegt nämlich seit dem Kampf im Fußballstadion von Tottenham Hotspurs am Samstag abend im Koma. Die Schlagzeile war nur zu vorhersehbar: „Sein bisher schwerster Kampf — gegen den Tod“.

Nach einer wüsten Schlägerei, bei der beide Boxer in der elften Runde zu Boden gingen, wurde der Kampf in der letzten Runde nach 29 Sekunden abgebrochen, weil Watson, der nach Punkten deutlich führte, keine Gegenwehr mehr zeigte. Kurz darauf brach er zusammen und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden — ebenso wie der total erschöpfte Eubank. Nach zwei Gehirnoperationen ist Watson aus der Bewußtlosigkeit noch nicht erwacht. Seine Überlebenschancen sind gering, die Hoffnung auf völlige Wiederherstellung seiner Gesundheit noch weit geringer. Boxkollege Nigel Benn, der Eubank im vergangenen Jahr unterlag, brachte es auf den offenbar einzigen Nenner, den er kennt: „Ich weiß, daß Michael nie wieder boxen wird.“

'Mirror‘-Schreiber Ian Gibb holte auf sieben Sonderseiten zum präventiven Rundumschlag gegen „die schlauen Zyniker“ aus, die „diesen tragischen Unfall dazu benutzen werden, ein Verbot des Boxsports zu fordern“. Recht hat er. Schließlich weiß man nicht erst seit Samstag, daß es beim Boxen darum geht, den Gegner bewußtlos zu schlagen. Steht er nach dem Auszählen wieder auf, ist alles in Ordnung. Tut er es nicht, ist das Geschrei — vorübergehend — groß.

Doch wenn es um Zynismus geht, ist der 'Mirror‘ kaum zu überbieten. Der geistige Tiefflieger Gibb beschwert sich über „die Ungeheuer, die am Ring in Hooligan-Manier ihrer Frustration Luft machten, weil der Kampf abgebrochen wurde“. Es war allerdings der 'Mirror‘, der im Vorfeld des Kampfes in Hooligan- Manier die Aggressionen geschürt hatte. Es verging kein Tag, an dem das Blatt nicht irgendeine Gemeinheit des arroganten Eubanks über seinen Gegner abdruckte, bis Watson, ein wiedergeborener Christ, schließlich auch zu verbalen Tiefschlägen ausholte: „Er ist ein Schandfleck für den Sport und muß weggefegt werden.“ Die mediengerechten Wortgefechte waren auch notwendig: Schließlich standen sich in Tottenham zwei mittelmäßige und außerhalb Großbritanniens unbekannte Boxer gegenüber, die sich um einen Weltmeistertitel prügelten, der speziell für diesen Kampf geschaffen worden war. Es gibt inzwischen vier Weltmeistertitel in jeder Gewichtsklasse. Die World Boxing Organisation (WBO), einer der rivalisierenden Verbände, war dem britischen Verband entgegengekommen und hatte flugs eine neue Gewichtsklasse eingeführt (12 Stone), weil beide Kontrahenten Schwierigkeiten hatten, für die niedrigere Klasse ein paar Pfunde abzunehmen.

Boxkämpfe werden zweifellos weiterhin stattfinden. Allerdings weiß die britische Boxwelt auch, daß zunächst eine pietätvolle Pause eingelegt werden sollte, bis Gras über die „dumme Sache mit Watson“ gewachsen ist. Deshalb hat Schwergewichts-Europameister Lennox Lewis ein lautes Wutgeheul ausgelöst, als er seinem britischen Landsmann Frank Bruno zwei Millionen Pfund (cirka sechs Millionen Mark) für einen Titelkampf anbot, während der zerschlagene Watson noch auf dem Operationstisch lag. Ex-Champion Gary Mason warf ihm vor, den Boxgegnern Munition frei Haus zu liefern: „Sicher muß die Show weitergehen, aber es gibt Dinge, die man zu gewissen Zeiten nicht macht.“ Lewis' Manager Frank Maloney rechtfertigte sich inzwischen: „Was soll's, wir sind doch alle Geschäftsleute.“ Business as usual.