: Gamsachurdia bildet „Volkseinheiten“
Tbilissi (ap/taz) — Die Regierung Georgiens nahm am Dienstag abend ein bedeutungsschweres Wort in ihre Erklärung auf: Sicher nicht ohne Anspielung auf den Mitte August gescheiterten Staatsstreich in Moskau sprach sie von einem „Putsch“, der in der ehemaligen Sowjetrepublik stattgefunden habe. Gleichzeitig wollte sie sich jedoch auch versöhnlich zeigen. Wörtlich: „Das Kabinett ruft alle an dem Putsch beteiligten Kräfte erneut auf, ihre Strategie zu ändern und sich legaler, friedlicher Mittel zu bedienen, um für ihre Interessen zu kämpfen.“ Erst, so die Erklärung drohend weiter, wenn die militärische Konfrontation anhalte, könne dies die Ereignisse in eine „fatale Richtung“ lenken.
Die „an dem Putsch beteiligten Kräfte“ hielten sich unterdessen weiterhin bei der am Samstag von ihnen besetzten Rundfunkstation auf. Mit dieser Besetzung wollen sie die Entlassung inhaftierter Oppositioneller, freien Zugang zu den Medien und eine außerordentliche Parlamentssitzung erreichen. Von der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt, haben sie sich hinter Sandsäcken verschanzt, erwarten den Angriff der Miliz des georgischen Präsidenten Gamsachurdia.
Doch über dessen weiteres Vorgehen herrscht Unklarheit. Während er einerseits Verhandlungen mit „jeder politischen Gruppierung“ anbot, verhängte er gleichzeitig am Dienstag abend den Ausnahmezustand. Dieser sieht zwar kein Ausgehverbot vor, verfügt aber eine „totale Mobilmachung“ von „Volkseinheiten“. Seinen Schritt begründete der Präsident mit der Notwendigkeit, „kriminelle Elemente“ unter Kontrolle zu bringen.
Auch mit dieser Bezeichnung war die oppositionelle Nationaldemokratische Partei gemeint, die nach Ansicht Gamsachurdias versucht, ihn mit Hilfe Moskaus sowie ausländischer Agenten abzusetzen und den Unabhängigkeitskurs Georgiens zu stoppen. Per Dekret setzte Gamsachurdia außerdem einen Nationalrat ein, der „die Streitkräfte kontrollieren, Nationalitätenkonflikte schlichten und Recht und Ordnung durchsetzen“ soll.
Unklarheit gab es auch über eine Schießerei vor dem Elekrizitätswerk in Tbilissi, bei der am Mittwoch mondestens drei Menschen ums Leben kamen. Gamsachurdia erklärte in der Eingangshalle des Parlamentes, in der er sich mit seinen Anhängern verschanzt hat, daß schwerbewaffnete Nationalgardisten versucht hätten, das Werk zu stürmen und Teile der Hauptstadt von der Stromversorgung abzuschneiden. Seine Gegner dementierten dies entschieden. Ihre Version der Ereignisse: Die Milizionäre hätten einen Angehörigen der Nationalgarde, der sich außer Dienst auf dem Weg ins Krankenhaus befunden habe, angegriffen.
Im Hintergrund der seit mehreren Wochen andauernden Demonstrationen in Georgien steht ein jahrelanger Streit zwischen Gamsachurdia und dessen Gegenspieler, dem inzwischen verhafteten Führer der Demokratischen Nationalpartei Georgij Tschenturia. Während die beiden Führerpersönlichkeiten, die sich in ihrem Nationalismus in nichts nachstehen, einst gemeinsam in Opposition gegen das kommunistische System standen, hatten sie sich im Streit um die Teilnahme zu den Wahlen des Obersten Sowjet Georgiens im Frühjahr 1990 entzweit. Gamsachurdia entschied sich, an diesen Wahlen teilzunehmen, eine Entscheidung, die durch einen überwältigenden Wahlsieg als richtig bestätigt wurde. Tschenturia ließ statt dessen Wahlen zu einem „Nationalkongreß“ durchführen — und verlor diese prompt. Nach seinem Sieg machte Gamsachurdia nicht nur Jagd auf die „gemäßigt“ nationalen Kräfte, sondern auch auf Tschenturia: Im September 1990 gingen die Büros seiner Nationademokratischen Partei in Flammen auf.
Das hohe Ansehen, das der charismatische Gamsachurdia heute bei den Georgiern genießt, erklärt sich aus seiner lebenslangen Arbeit in der Opposition. Bereits im Alter von 17 Jahren wurde der heute 52jährige zu einer Gefängnisstrafe wegen „nationalistischer studentischer Umtriebe“ verurteilt. 1973 gründete er eine Menschenrechtsgruppe, berichtete über Folter in den Gefängnissen des Landes.
Einen schwarzen Fleck auf seiner bis dahin lückenlosen oppositionellen weißen Weste bekam er erst 1978. Wegen „antisowjetischer Aktivitäten“ angeklagt, verleugnete Gamsachurdia seinen Einsatz für die Menschrechte. Bereits damals zweifelte Andrej Sacharow an der „menschlichen Stärke“ des Präsidenten, nur kurze Zeit später wurde deutlich, daß der jahrelang Verfolgte bei der Verfolgung nationaler Minderheiten Georgiens nicht zimperlich ist.
Der Widerruf Gamsachurdias war aber auch Ansatzpunkt für die Kritik seiner Gegner. Jedoch ist es dem um 20 Jahre jüngeren Tschenturia nie gelungen, eine ähnlich tiefgehende nationale Verehrung zu „erwerben“. Gamsachurdia ist das „nationale Symbol“ der Georgier. Eine Tatsache, die ihm viel Raum für den Kampf gegen die Opposition läßt. her
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