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Bund verschleppt Asylverfahren

Göttingen (taz) — Schweres Geschütz gegen die Asylpolitik der Bundesregierung hat der Niedersächsische Flüchtlingsrat aufgefahren. Mehrere Sprecher des Gremiums, in dem landesweit etwa sechzig Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsgruppen mitarbeiten, warfen der Regierung vor, sie selbst verschleppe und verzögere die laufenden Asylverfahren.

So sei die teilweise extrem lange Dauer dieser Verfahren fast immer auf Einsprüche des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten zurückzuführen, der den Weisungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) untersteht.

Der Bundesbeauftragte treibe „seit Jahren ganze Gruppen von Flüchtlingen, die anerkannt wurden, durch die Gerichtsinstanzen“. Betroffen von diesen Einsprüchen seien grundsätzlich Christen aus der Türkei, Afghanen, Tamilen und Angolaner.

Als „besonders perfide“ bezeichnete es der Flüchtlingsrat, daß die von der Bundesregierung in die Länge gezogenen Verfahren den Politikern gleichzeitig dazu dienten, weitere Verschärfungen der Asylgesetzgebung zu fordern.

Angesichts der jüngsten Ausschreitungen gegen Flüchtlinge sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern sieht der Flüchtlingsrat die Bundesrepublik „unterwegs zu neuen Ufern“. Wenn die Entwicklung so weitergehe, „dann haben wir morgen Verhältnisse in Deutschland, die es in Zukunft nur noch blonden und blauäugigen Menschen erlauben werden, sich einigermaßen sicher vor Übergriffen zu fühlen“.

Arme und ärmste Staaten, beispielsweise Äthiopien oder Pakistan, nehmen nach Darstellung des Flüchtlingsrats „hundertmal so viele Flüchtlinge auf wie die Bundesrepublik“, ohne daß es dort zu Pogromen komme.

An die Kirchen appellierte der Flüchtlingsrat, nicht länger zu der massiven Ausländerverfolgung zu schweigen. Während sich an der Kirchenbasis zahlreiche Gemeinden und Initiativen für die Flüchtlinge engagierten, sei von den „hochrangigen Gremien der evangelischen und katholischen Kirche in den vergangenen Tagen und Wochen nicht viel zu hören gewesen“.

Die ebenfalls auf der Pressekonferenz anwesende SPD-Landtagsabgeordnete Hulle Hartwig berichtete, sie habe wegen ihres öffentlichen Einsatzes für Asylbewerber von neonazistischen Organisationen Morddrohungen erhalten. Aber auch „Bürger auf der Straße“ forderten immer häufiger, sie und den niedersächsischen Bundesratsminister Jürgen Trittin (Die Grünen) „hinter Gitter zu bringen“. Ein öffentlicher Aufschrei über die faschistischen Tendenzen in unserem Land ist nicht zu vernehmen“, sagte Hulle Hartwig.

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