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SHORT STORIES FROM AMERICA

■ Amtliche Lügner: Niemand hat sich über den Streß für Kongreßstenographinnen Gedanken gemacht

Wenn ich es mir so recht überlege, wäre ich nicht gern Stenographin beim amerikanischen Kongreß. Journalismus macht gelegentlich Sorgen (und arm); ich sorge mich um die Laune der Welt und meines Redakteurs, vor allem um vier Uhr morgens, und das Argument Routinearbeit steht mir vor Augen. So etwas wie Schwester in der Chirurgie fällt mir ein, aber nie Stenographin im Kongreß. Zu viele Stolpersteine. Zum Beispiel: die meisten Redner im Kongreß sagen nichts und wiederholen es dann, manche über Jahre, wie etwa bei unseren elephantösen Vernehmungen vor dem Iran-Contra- Ausschuß. Schnell würde man sich als Stenograph daran gewöhnen, was ein Mehrfachsünder gleich sagen würde. Fünf Jahre das Geschwafel, dann fügt so ein Typ das Wort „nicht“ ein, und die Verantwortung, das zu merken, liegt haarscharf beim Stenographen. Die Verantwortung, die freie Welt ehrlich zu halten. Das ist wirklich zu viel Streß.

Einige Kongreßmitglieder haben in letzter Zeit regelrecht Temperament gezeigt, was so kleine Wörter wie „nicht“ angeht, die bei offiziellen Verfahren auftauchen, wie bei den Anhörungen von Robert Gates, der nominiert ist, Direktor des CIA zu werden. Der, seit Jahrzehnten im Geheimdienst, immer für sein gutes Gedächtnis gelobt wurde. Diesen Sommer kann er sich plötzlich an keine Iran-Contra-Sache mehr erinnern. Diese kleine Bewegung des Schalters von „I can recall...“ zu „I cannot recall...“ hat Experten bewogen, Gates' Qualifikation für den obersten CIA-Job in Frage zu stellen, sich über die Verachtung des CIA für den Kongreß Sorgen zu machen sowie über unser berühmtes „Gleichgewicht der Kräfte“ in der Regierung; sogar über die Gesundheit der Nation. Niemand jedoch hat sich über den Streß für den Kongreßstenographen Gedanken gemacht. Wieder werden die kleinen Leute übersehen.

Was mich betrifft, war ich froh, daß Gates sagte, er könne sich an nichts im Zusammenhang mit Iran-Contra erinnern. Faktisch ist es das einzige, was er jemals getan hat, um sich für die Spitzenposition beim CIA zu qualifizieren. Bis zur aktuellen Runde von Iran-Contra-Anhörungen hatte er das Bundesgesetz gebrochen, betrogen, geschwindelt, in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes manipulativ eingegriffen und dann, zur Verletzung gehört die Beleidigung, den Kongreß und das amerikanische Volk belogen. Diese Dinge könnten schon Grund genug sein, sich um das Gleichgewicht der Kräfte und die Gesundheit der Nation zu sorgen, aber Gates' plötzlicher Gedächtnisverlust zeugt von seiner mangelnden Courage. Entschieden klammert er sich an die Hauptregel amerikanischer Politik: Wenn man die Wahl hat zwischen Bosheit und Dummheit, wähle man das letztere. (Anmerkung: In ihrem Land funktioniert das nicht.) Wenn Gates — mal so herum gedacht — zu dusselig gewesen wäre, seinen Arsch zu bedecken, wie könnte man, was seine verdeckten Operationen betrifft, zuversichtlich sein?

Manche haben betont, wenn Gates an seinem Vergeßlichkeitsspiel festhalte, könnte man ihn für zu verfahren halten, überhaupt noch zu wissen, wer auszuspionieren sei — insbesondere jetzt, wo Länder wie Jugoslawien und die Sowjetunion sich verbinden und wiederverbinden wie die Kaninchen. Aber das ist albern. Das Schöne an kongreßlichem Erinnerungsverlust ist, daß die Nation sich in dem Glauben wiegen lassen könnte, Gates sei gewissermaßen ein ehrlicher Lügner. Das qualifiziert ihn doppelt für den Job. Gates ist genau der Mann, den es niemals in den Steno-Pool verschlagen wird.

Ein anderer ist Oliver North. Der versteht auch das Gesetz des Vergessens. Während er Tag für Tag aufrecht im Kongreß stand, konnte er sich nur daran erinnern, das Richtige getan zu haben und wurde der Mann mit dem gewissen Etwas. Letzten Monat hat der Kongreß alle Vorwürfe gegen ihn fallenlassen, und die 'New York Times‘ brachte ihn auf den Titel, mit den Augen nach oben in die Zukunft blickend, visionär und blond.

Alan Fiers, der frühere CIA-Chef für verdeckte Operationen in Mittelamerika, ist kein Mann mit Zukunft. Seit Mitte Juli klopft er sich vor dem Kongreß auf die Brust, weil er Waffen an die Contras geliefert habe. Als wenn das nicht unweise genug wäre, hat er auch über die Anweisungen von Vorgesetzten geschnauft, daß der Kongreß zu belügen sei. Schäumend vor Bekenntnis, hat er auch Gates mit hineingenommen, Claire George (ein erstklassiger Spion und dritter Mann im CIA während der Iran-Contra- Geschäfte) und den früheren CIA-Direktor William Casey, der praktischerweise tot ist. Friers zog sich 1988 vom CIA zurück, worum ich froh bin. Mit einer derart ärmlichen Auffassung vom Funktionieren einer US-Regierung sollte er sich nicht in irgendeinen Undercover-Beschiß einmischen oder auch nur in die Stenographie.

Am Rande, in letzter Zeit tat mir Casey ein bißchen leid. Aus dem Grab heraus kann er nicht unser North-mäßiges Vertrauen wiederherstellen, indem er darauf bestünde, sich an keinen Fehltritt zu erinnern.

Nach der traurigen Fiers-Geschichte berichte ich mit Vergnügen, daß sehr viele Amtspersonen bei der Bundesbank und Abteilungen im Innen- und Finanzministerium das Prinzip des Erinnerungsverlustes begreifen. Vor einigen Wochen behauptete der CIA, daß er schon 1986 den illegalen Aufkauf der größten Bank Washingtons durch die inzwischen berüchtigte arabisch-banditische Bank of Credit and Commerce International gemeldet habe. Die Amtspersonen bei der Bundesbank und auf den Abteilungen der Ministerien zwinkerten und sagten, sie könnten sich an keine Bank-of-Credit-Angelegenheit erinnern. Die Geschichte verschwand von den Titelseiten der Landespresse.

Mit Zuversicht kann ich auch von Clarence Thomas berichten, jetzt Anwärter zum Obersten Gerichtshof, ein hochgradiger Gedächtnisverlierer. Bei Anhörungen durch den Kongreß wegen seiner Nominierung für das Gericht konnte er sich nicht erinnern, in all den Jahren jemals über den Gegenstand Abtreibung gesprochen zu haben. Er konnte sich an keinen Fall erinnern, bei dem das Gericht den Fötus von einem Menschen unterschieden hatte, was die Crux des vielleicht berühmtesten Falls vor dem Obersten Gericht in der amerikanischen Geschichte ist, die Entscheidung Roe versus Wade von 1973, die das Recht der Frau auf die Reproduktion garantiert. Kein Gedächtnis, keine weiteren Fragen, und so glitt er durch eine der heißesten Abschnitte der Anhörungen zu seiner Bestätigung im Amt. Für den kommt der Steno-Pool auch nicht in Frage.

Thomas erinnerte sich, daß die Verfassung in ihrem Paragraphen zum Schutz des Privatlebens Paaren die Entscheidung überläßt — ohne daß der einzelne Bundesstaat intervenieren könnte — Verhütungsmittel zu benutzen oder nicht. So sehr hatte man ihn knuffen müssen, damit ihn diese Erinnerung streife, daß die befragenden Senatoren nicht die Durchhaltekraft hatten, den Gegenstand weiterzuverfolgen in der Richtung, was der Schutz des Privatlebens sonst noch schützen möge. Zum Beispiel oralen und/oder analen Sex zwischen Erwachsenen, die damit einverstanden sind, was in 24 Staaten und dem Regierungsdistrikt Columbia verboten ist. Könnte das einen Eingriff bedeuten in die persönlichen Rechte des erwachsenen Bürgers? So flink wie Gates umschiffte auch Richter Thomas die Sümpfe und führte vor, wie er sich die Rolle des Erinnerungsverlustes für die amerikanische Regierung vorstellt. Die Nominierungen sowohl von Gates als auch von Thomas werden voraussichtlich bestätigt.

Schließlich hat Philip Streifer, Oberschulrat des Schulsystems von Barrington im Bundesstaat Rhode Island, seine Auffassung von amerikanischen Nominierungen und Bestätigungen von Amtsträgern demonstriert. Eine Presseerklärung aus seinem Büro lautete: „Nachdem wir keinen geeigneten Kandidaten für die Stellung des Schuldirektors gefunden haben, sind wir glücklich anzuzeigen, daß David Steele auf den Posten berufen worden ist.“

Aus dem Amerikanischen von U.E. Ziegler

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