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»Leicht hingeworfener Scherz«

■ »Klein Zaches genannt Zinnober« von E.T.A. Hoffmann im Puppentheater Berlin

Fürst Paphnutius führt in seinem kleinen Land die Aufklärung ein — alle Feen und Zauberer werden verbannt. Die Vernunft soll regieren, ohne Wenn und Aber — doch in seiner Absolutheit scheitert das Unternehmen. Einigen wenigen Zauberwesen gelingt es nämlich, im Land zu bleiben. Die Fee Rosabelverde, zum Beispiel. Sie findet eines Tages einen mißgestalteten, unerträglich grantigen Zwerg, der »sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz« gehalten werden könnte — Klein Zaches. Aus Mitleid verleiht sie ihm eine unheilvolle Gabe: Alles, was in seiner Gegenwart Ausgezeichnetes gesprochen, gedacht oder getan wird, soll ihm selbst zugesprochen werden. Der Zauber wirkt. In der Universitätsstadt Kerepes heimst Zaches, der sich nun Zinnober nennt, alle Lorbeeren ein, ohne selbst etwas dafür zu tun. Immer höher klettert er die Karriereleiter, wird Minister und Diplomat, überall angesehen, von allen verehrt; sogar von denen, deren geistiges Eigentum er gestohlen hat. Nur der Student Balthasar wehrt sich. Er kann hinter die Maske Zinnobers blicken, zumal der ihm auch noch die geliebte Candida abspenstig machen will. Zusammen mit Prosper Alpanus, dem alten Zauberer, gelingt es ihm, die Feengabe zu brechen und das Volk — zumindest kurzzeitig — aus seiner Verblendung zu holen. Balthasar heiratet Candida, Klein Zaches/ Zinnober stirbt unter mysteriösen Umständen.

Als »leicht hingeworfenen Scherz«

hat E.T.A. Hoffmann seine Erzählung Klein Zaches genannt Zinnober einmal bezeichnet, allerdings nur, um interpretationsgeschädigte Kritiker zu ärgern, die der Erzählung keine übergeordnete Ebene zugestehen wollten. Als leicht hingeworfenen Scherz hat dann leider auch das Puppentheater Berlin die Geschichte aufgefaßt und — für Erwachsene wohlgemerkt — inszeniert.

Fürst Paphnutius wie ein dicklich- aufgedunsenes Kleinkind mit Windeln auszustatten, ist ja noch witzig und passend. Und Mosch Terpin, Professor in Kerepes und Sinnbild Hoffmanns für die Art aufgeklärter Wissenschaftler, die »keine Ahnung, nur Wissen« haben, einen riesengroßen Kopf zu verpassen, ist ebenfalls eine gelungene Typisierung. Aber warum muß Balthasar, der eigentliche Sympathieträger im Zaches, so grämlich und verweichlicht aus der Wäsche gucken und mit so fieberndem Pathos sprechen, daß er zur Witzfigur degradiert wird?

Hoffmann hat klare Figuren herausgearbeitet, um bestimmte Ideen nicht zu verwischen: Auf der einen Seite die bedingungslose — und damit dumme — Ratio, verkörpert durch Mosch Terpin, auf der anderen das Alter ego Hoffmanns, Balthasar, der auch einen Sinn für die unerklärlichen Dinge des Lebens hat und so das Land von einem großen Übel befreien kann. In Treus Inszenierung ist von diesem Antagonismus kaum etwas zu spüren, die einzelnen Figuren sind keine Karikaturen, sondern nur noch beliebige Abziehbilder.

Richtig schlimm ist mit der Gestalt des Klein Zaches verfahren worden: Die Puppe könnte man fast hübsch nennen, gerade mal ein winzigkleiner Buckel zeugt von seiner körperlichen Deformation. Dieser Zaches erzeugt Mitleid, und Mitleid muß wohl auch Ulrich Treu mit dieser »armen, kleinen« Kreatur gehabt haben, die doch ein Sinnbild sein soll für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die zeigen soll, was ein Volk sich widerspruchslos und verblendet alles wegnehmen läßt. Aber nichts davon kommt beim Zuschauer an, Klein Zaches' Szenen werden nicht nur rigide weggekürzt, sondern zum Schluß sogar noch aufs Gröbste verändert. Er stirbt nicht, sondern darf als Diener und Schützling mit seiner Fee gehen. Happy-End für alle.

Ganz abgesehen von der entstellenden Verniedlichung der Erzählung ist es fraglich, ob sie überhaupt als Bühnenstück — sei es nun Puppen- oder Menschenspiel — tauglich ist. Im Puppentheater Berlin jedenfalls kann man beobachten, daß gerade die Phantasieszenen ziemlich in die Hose gehen. Das Duell zwischen Prosper Alpanus und Rosabelverde z. B. wirkt weniger wie eine Schlacht um den besten Zaubertrick (und damit die Macht über Klein Zaches), sondern eher wie ein dilettantischer Kampf der Stofftierchen. Bei Hoffmann gibt es das reine Vergnügen am Schluß für niemanden. Sogar für Balthasar, der seine geliebte Candida doch noch bekommt, bleibt ein Wermutstropfen zurück. Denn was soll er schon mit einer Frau anfangen, die »Goethes Wilhelm Meister und Fouqués Zauberring liest und sofort alles wieder vergißt«? Wer die Geschichte von Zaches genannt Zinnober kennenlernen möchte, sollte sie besser lesen. Anja Poschen

Am 4., 5., 11. und 12.10., jeweils 20 Uhr, im Berliner Puppentheater, Vorbergstr. 10a, 1-62.

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