Holger Deilke verurteilt 12 Jahre für Maier-Witt?

Hamburg (taz/dpa) — Der 33jährige Detmolder Holger Deilke ist am Mittwoch wegen Mitgliedschaft in der Rote-Armee-Fraktion (RAF), schweren Diebstahls, Urkundenfälschung und illegalen Waffenbesitzes zu drei Jahren Knast verurteilt worden. Der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgericht blieb damit deutlich unter dem Votum der Bundesanwaltschaft (BAW), die fünf Jahre gefordert hatte. Nach dem Urteil stellte das Gericht in Aussicht, Deilke bald zu entlassen, weil zwei Drittel seiner Haftzeit bereits abgesessen sind.

Deilke war am 7. Dezember 1989 bei Tönning in Schleswig-Holstein, unmittelbar nach dem RAF-Anschlag auf Deutschbankier Alfred Herrhausen, verhaftet worden. Der BAW zufolge hätten Deilke und seine Lebensgefährtin Ute Hladki einem gefährlichen RAF-Kommando angehört, die einen Anschlag auf den Industriellen Tyll Necker in Bad Oldesloe geplant habe. In dem fünfmonatigen Verfahren brach diese Behauptung vollends zusammen. Deilke und Haldki waren nämlich im Sommer 1988 nur abgetaucht, um sich einem Prozeß wegen „Werbens für die RAF“ zu entziehen, bei dem ihnen 15 Monate Knast drohten. Über ein Jahr lang hatten Deilke und Hladki zusammen mit den HafensträßlerInnen Corinna Kammermeier und Karl-Heinz Gerum dann in Illegalität in einer konspirativen Bauernkate bei Lasbek gelebt.

Der Umstand, daß Deilke geklaute Autos mit Doublettenkennzeichen benutzte, falsche Papiere und eine Waffe besaß, mit politischen Freunden über tote Briefkästen korrespondierte sowie Materialsammlungen über Industrielle anlegte, sind für den Staatsschutzsenat „RAF- typische Verhaltensweisen“, die für eine Verurteilung wegen RAF-Mitgliedschaft ausreichten. Zwar befand das Gericht, daß Deilke nicht zur „RAF-Führungsebene“ gehört habe, jedoch habe er „allgemein logistische Aufgaben übernommen, ohne konkret über Taten informiert gewesen zu sein“.

Dennoch ist der Urteilsspruch aufgrund der niedrigen Haftstrafe nach Meinung von Juristen als Kompromißformel anzusehen. Einerseits wolle das Gericht durch Milde keine öffentlichen Proteste hervorrufen, auf der anderen Seite habe der Staatsschutzsenat im Interesse der BAW die „RAF-Mitgliedschaftsthese“ bestätigen müssen. Wäre Deilke nämlich freigesprochen worden, hätte die Fahndung nach den noch flüchtigen Kammermeier und Gerum sofort abgeblasen werden müssen, und die Legende der RAF in der Hafenstraße wäre für alle Zeiten zerstört.

In Stuttgart-Stammheim forderte die BAW am Mittwoch für Silke Maier-Witt eine zwölfjährige Freiheitsstrafe und die Anwendung der Kronzeugenregelung. Sie soll unter anderem an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer 1977 und seiner vier Begleiter beteiligt gewesen sein. Die BAW beantragte die Kronzeugenregelung unter anderem, weil aufgrund Maier-Witts Aussagen gegen mehrere inhaftierte RAF-Mitglieder, darunter Angelika Speitel und Christian Klar, neue Verfahren eingeleitet werden konnten. Der Prozeß wird am kommenden Dienstag mit dem Plädoyer der Verteidiger fortgesetzt. Mit dem Urteil wird noch für die nächste Woche gerechnet. Kai van Appen