: »Nicht drängen lassen...«
■ In dem dichten Besucherstrom der Rembrandt-Ausstellung wird man von Bild zu Bild getragen Beim »Mann mit dem Goldhelm« gilt das Besucherinteresse hauptsächlich der Röntgenuntersuchung
Karten gibt's da unten«, sagte der Kontrolleur bestimmt schon zum hundertsten Mal an diesem Tag zu den erwartungsvollen MuseumsbesucherInnen. Er zeigt auf eines kleines Kassenhäuschen am Fuß der großen Treppe zum Alten Museum. Ziel der Kunstinteressierten ist die Rembrandt- Ausstellung Der Meister und seine Werkstatt. Schon früh am Morgen haben sich lange Schlangen vor den Kassen gebildet, die bis in den Lustgarten reichen. Die MuseumsbesucherInnen müssen nur noch durch die Rotunde, die Eingangshalle, und dann eine Treppe hinauf, um den Rundgang beginnen zu können. Rund 3.000 BesucherInnen täglich bewundern die Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken Rembrandts und die Werke seiner wichtigsten Schüler.
Ein Mitarbeiter des Aufsichtsdienstes erzählte, daß zu Anfang der Ansturm nicht so groß gewesen sei. »Die Werbung war gut, hätte aber noch besser sein können. Doch inzwischen hat es sich herumgesprochen«, sagte er. Dementsprechend drängen sich die BesucherInnen durch die Ausstellungsräume und verstellen sich gegenseitig den Blick auf die Gemälde.
Vor dem ersten Ausstellungsraum hängt der Lebenslauf des Malers. Ein erstes Grüppchen Menschen steht davor, vertieft in die Lektüre. Dann erwarten die BesucherInnen die ersten Bilder — ein Selbstportrait, und jeweils eines von seinem Vater und seiner Mutter. Die Kunstbeflissenen versammeln sich vor den Gemälden, betrachten sie auf olivfarbenem Hintergrund. Einige versuchen aus der Entfernung den Gesamteindruck in sich aufzunehmen, andere stoßen fast mit der Nase an die kleinen Schildchen, die den BesucherInnen Erklärungen zum Bild liefern. Wann und wo ist es gemalt, wer ist abgebildet, und wie kann es eingeordnet und gedeutet werden. Die Ausstellung ist in zwei Teile gegliedert. Zu Anfang wird die künstlerische Entwicklung des Malers dargestellt. Im zweiten Teil soll den BesucherInnen ein Einblick in die Neuzuschreibung der Werke verschafft werden. Die Rembrandt-Forschung ergab, daß ehemals Rembrandt zugewiesene Bilder nicht von ihm sind.
In den Räumen ist nur gedämpftes Gemurmel zu hören. Einige nahmen die Gelegenheit in Anspruch und haben sich einen Walkman für eine Tonführung geliehen. Eine freundliche Frauenstimme sagt ein paar einleitende Worte. In dem von Karl Schinkel 1820 errichteten Museum sei heute eine einzigartige Ausstellung zu bewundern. »Lassen sie sich nicht drängen«, rät sie. »Schalten sie das Gerät ruhig zwischendurch aus, damit sie sich die Bilder in Ruhe anschauen können.« Ein Sprecher gibt zu jedem Bild eine ausführliche Beschreibung. Vom dritten zum vierten Raum müssen die BesucherInnen über eine Galerie flanieren. Die Gelegenheit, sich auf die dortigen Bänke zu setzen, nehmen sie gern wahr. Der Blick führt nach draußen auf den Lustgarten, wo gerade eine PDS-Veranstaltung stattfindet. Die Leute da unten schauen nicht weniger gebannt auf die Redner als die Museumsbesucher auf den echten oder falschen Rembrandt.
Im letzten Ausstellungsraum erwartet die BesucherInnen der Höhepunkt: Der Mann mit dem Goldhelm. Wenn die BesucherInnen den letzten Ausstellungsraum des Rundgangs betreten, soll ihr Blick gleich auf das Gemälde fallen. Wenn der Raum voll ist, wird das Gemälde jedoch durch die vielen Leute verstellt. Und voll ist es hier immer. Daneben ist eine Dokumentation über die Gemäldebestandsaufnahme, Stilkritik und Röntgenstrahlenuntersuchung des berühmten Gemäldes zu sehen. Dafür scheint das Interesse größer zu sein als für den Goldhelm selbst. Ein paar Fotos dokumentieren, wie das Bild unter der Oberfläche aussieht. Ziemlich desillusionierend, denn schließlich ist man/frau ja gekommen, um das berühmte Rembrandt-Bild zu begutachten. Die Forscher haben jedoch festgestellen können, daß das Gemälde nicht von Rembrandt sein kann.
»Einige BesucherInnen haben sich beschwert, daß der Goldhelm wie entwertet neben der Dokumentation hängt«, sagte eine Mitarbeiterin des Ausstellungsbüros. Sie hätten es begrüßt, wenn der Teil nur im Katalog abgedruckt worden wäre.
Der Rundgang der Gemäldeausstellung ist beendet, der Weg führt wieder nach unten in die Räume, wo Zeichnungen und Radierungen Rembrandts und seiner Schüler warten. Im Halbdunkel schlendern die Kunstliebhaber von Bild zu Bild. Die Beleuchtung ist schwach, um den Werken nicht zu schaden.
Die Kataloge finden reißenden Absatz. Die Austellungsleitung hatte nicht damit gerechnet, daß sie die BesucherInnen für die Zeichnungen und Radierungen genauso interessieren, wie für die Gemälde. So ist der Katalogteil über die Zeichnungen und Radierungen bereits nach drei Wochen ausverkauft. Bis kommenden Dienstag müssen sich interessierte BesucherInnen noch gedulden. Eine Frau stürmte erbost ins Ausstellungsbüro und beschwerte sich, daß sie schon zum dritten Mal gekommen sei, um einen Katalog zu bekommen. Ihr Besuch in Berlin sei am kommenden Sonntag beendet, und der Katalog solle doch ein Hochzeitsgeschenk sein. Eine Mitarbeiterin im Ausstellungsbüro erzählte, daß vor allem Beschwerden über die Kataloge bei ihr eingingen, weil sie zu teuer seien. »Einige Besucher haben sich auch beschwert, daß hier alles so schlecht organisiert ist«, erzählt sie. Aber die Leute äußern sich auch positiv und einige sind ohne Einschränkung begeistert. Susanne Landwehr
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