: Kenias „Ratten“ begehren auf
In einer der letzten Einparteiendiktaturen Afrikas verdüstert sich das politische Klima/ Die Hauptstadt Nairobi rechnet dieses Wochenende mit offenen Unruhen/ Oppositionelle fürchten um ihr Leben ■ Aus Nairobi Bettina Gaus
Wird Kenias Hauptstadt Nairobi an diesem Wochenende Schauplatz blutiger Unruhen? Die Frage ist hier Tagesgespräch: In Restaurants und an Bushaltestellen, in Büros und in Geschäften, in denen sich lange Schlangen von Käufern bilden, die Vorräte für die nächsten Tage hamstern. Polizeikräfte aus dem ganzen Land sind in der Hauptstadt zusammengezogen worden. „Unruhestifter“, wie arbeitslose Bettler oder Straßenhändler, sind festgenommen worden — Gerüchte sprechen von 1.500 Verhaftungen. Selbst für private Veranstaltungen wie Partys oder Verlobungsfeiern sind Genehmigungen widerrufen worden. Ausländische Botschaften empfehlen ihren Staatsbürgern, die Innenstadt am Wochenende zu meiden.
Zwei Monate lang hatte sich die oppositionelle Gruppe FORD (Forum für die Wiederherstellung der Demokratie) um eine Lizenz für eine heute geplante Versammlung bemüht. Die Dissidenten fordern politische Reformen und die Einführung des Mehrparteiensystems im autoritär regierten Einparteienstaat Kenia. Obwohl sich die Regimekritiker bislang streng an Gesetze und Verfassung halten, waren sie in den letzten Wochen das Ziel sich ständig verschärfender Angriffe von Politikern. Präsident Daniel Arap Moi vertrat die Auffassung, Verfechter einer Mehrparteiensystems sollten „wie Ratten durch den Fleischwolf gedreht werden“. Auf einer öffentlichen Kundgebung am vergangenen Wochenende in der Stadt Narok, an der 14 Kabinettsmitglieder teilnahmen, wurde der für Nairobi verantwortliche Chef der Einheitspartei KANU, Njorogore Mungai, aufgefordert, alle Dissidenten aufzuspüren und aus der Hauptstadt zu verjagen. Der Energieminister forderte Kenianer dazu auf, Autos der Marke „Ford“ zu boykottieren, „damit ihre Besitzer wissen: Der Name stinkt.“
In der aufgeheizten Stimmung blieb es nicht bei Verbalattacken. Der regierungskritische Vorsitzende der Anwaltsvereinigung Paul Muite erklärte, er fürchte um sein Leben und um die Sicherheit seiner Familie, nachdem Unbekannte sein Auto mit Steinen bewarfen. Raila Odinga, der erst vor wenigen Monaten aus politischer Haft entlassen worden ist, wurde Opfer eines nächtlichen Überfalls, bei dem seiner Darstellung zufolge auf ihn geschossen wurde. Er mußte mehrere Tage im Krankenhaus verbringen.
Am Donnerstag zog FORD überraschend vor Gericht den Antrag auf Erteilung einer Versammlungslizenz für den 5.Oktober zurück. Die Gruppe teilte mit, sie habe im Gerichtsverfahren keinen Sinn mehr gesehen, nachdem das Büro von Präsident Moi noch vor dem Richterspruch erklärt hatte, die Genehmigung werde in gar keinem Fall erteilt werden. Sollte es nun heute doch zu einer Demonstration kommen, so sei dies keine von FORD geplante Veranstaltung.
Die Regimegegner ließen erkennen, daß sie sich künftig Weisungen offen widersetzen wollen. „Wenn eine Regierung das Gesetz mißbraucht und sich so benimmt, als diene es dem einzigen Zweck, sich selbst um jeden Preis an der Macht halten zu können, dann hat die Bevölkerung das Recht und die Pflicht, dem Gesetz nicht mehr zu gehorchen,“ heißt es in einer Pressemitteilung von drei FORD-Mitgliedern.
Beobachter halten es für wahrscheinlich, daß heute trotz der jüngsten FORD-Erklärung Unruhen in Nairobi ausbrechen werden. Neben politischen Spannungen heizen vor allem Wirtschaftsprobleme die Stimmung an: Die Inflationsrate hat sich einer Zeitung zufolge, die Einblik in amtliche Statistiken gewonnen haben will, seit dem letzten Jahr auf mehr als 21 Prozent verdoppelt. Wichtige Grundnahrungsmittel wie Fett, Maismehl und Zucker sind seit Tagen in den Geschäften kaum noch zu bekommen. Adressen möglicher Bezugsquellen werden als heiße Geheimtips gehandelt.
Auch der Druck des Auslands auf die kenianische Regierung wächst. So haben die USA öffentlich politische Reformen gefordert, Großbritanniens Außenminister Douglas Hurd traf während eines Besuches in Nairobi mit Vertretern der Opposition zusammen und die dänische Regierung hat ihre Hilfe für alle neuen Projekte in Kenia wegen „weitverbreiteter Korruption“ eingefroren.
In diesem Klima überraschen Äußerungen des deutschen Botschafters Bernd Mützelburg, der am Dienstag mit lobenden Worten über Kenias Menschenrechtsbilanz und die politische Linie der Regierung auf der Titelseite des Parteiorgans 'Kenya Times‘ zitiert wurde. Aber der Diplomat ließ die Darstellung der Zeitung nicht unwidersprochen stehen. Der Botschaft zufolge war er „erbost“ über eine Verfälschung seiner Zitate und äußerte die Vermutung, die Regierung benutze „jedes nur erdenkbare Mittel, das ihr in der Auseinandersetzung mit der Opposition Rückendeckung zu verschaffen scheint.“
Ein Problem besonderer Art hat der britische Botschafter zu lösen: Am Montag wird die Queen zu einem Kurzbesuch in Nairobi erwartet. Ihre Majestät im Zentrum demokratischer Umtriebe in einer ehemaligen Kolonie? God save the Queen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen