: 26 Streicher, 1 Bandoneon
■ Luis de Matteo und das Uljanowsk Chamber Orchestra im Schlachthof
Manch illustren Trupp hat sie schon gesehen, die Bühne des Schlachthofs, aber dies denn doch noch nicht: ein ehrwürdiges russisches Streichorchester samt Dirigenten zwischen dem Biertresen und den berüchtigten Holzbänken — schon allein der Anblick verlieh dem Auftritt von Luis de Matteo und dem Uljanowsk Chamber Orchestra einen exotischen Tupfer. Daß die Kesselhalle nicht gerade das Stadtteater ist — der Stimmung am Samstag abend tat das keinen Abbruch, im Gegenteil.
Das 26köpfige Orchester hatte sich gewünscht, dem Konzert ein Stück eigener Wahl voranzustellen: Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“, ein Frühwerk, deutlich in der Tradition von Wagner und Brahms. Schönberg selbst hatte das Sextett auch für Streichorchester gedacht, Dirigent Nikolaj Alexejew nutzte dann auch vor allem die dynamischen Möglichkeiten der großen Besetzung.
Daß Luis de Matteos Bandoneon-Kompositionen eines Tages ihr Orchester finden würden, war eigentlich eine Frage der Zeit. Schon mit seinen Solo-Auftritten hatte er seine Vorliebe für den Grenzbereich zwischen E- und U-Musik demonstriert, die komplexen Strukturen seiner Stücke riefen geradezu nach sinfonischer Erweiterung. Zusammen mit dem sowjetischen Kammerorchester präsentierte er auf einer Europatournee auch in Bremen vier in sich geschlossene, neuere Werke. Den Anfang machte die dreisätzige Suite „Del Nuevo Ciclo“, Titelstück auch der unlängst beim Bremer Jaro-Label veröffentlichten Platte. Einem leichten ersten Satz, in dem gelassene Streicher wechselnde beschwingte Bandoneon-Themen untermalten, folgte ein mehr dem „Tango Nuevo“ verhafteter, tänzerischer Mittelteil und das abschließende, von romantischen kleinen Melodiebögen dominierte Allegor molto. Eine geschlossene Komposition, in deren rundes Klangbild sich das vorwiegend auf der Diskantseite gespielte Bandoneon glänzend einfügte. Überraschend lediglich der ein wenig spannungsarme Verlauf. Nach der Pause mit „Imagen 32“ zunächst ein temperamentvoller, stark rhythmischer Kontrapunkt zur elegischen Suite, mit etwas süßlich gestrichenem Mittelteil, anschließend der ruhige Zweiteiler „Sobre la Cumbre“ (auf dem Gipfel), eine harmonische, landschaftsbeschreibende sinfonische Dichtung, anspruchsvoller kompositorischer Höhepunkt des Abends.
Die Abschlußsuite „Del nuevo Bandoneonista“ und die Zugabe wirdmeten sich wieder mehr dem Gegensatz zwischen den gebrochenen Bandoneon-Themen und den ruhigen Streicher-Sequenzen: Vor allem in diesen Passagen wurde offenbar, daß die Kombination von Bandoneon und Orchester sicherlich Geschmacksache bleiben wird. Am Schluß feierte der vollbesetzte Saal einen sichtbar glücklichen Luis de Matteo.
Rainer Köster
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