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Ein Manuskript? Nie

Marcel Ophüls, der Regisseur von „Hotel Terminus“, bei den Berliner Lektionen  ■ Von Christiane Peitz

Wie die Geschichte mit Billy Wilder ausgeht, erfahren wir nicht. Während der Dreharbeiten zu Novembertage, einer BBC-Auftragsproduktion über den Fall der Mauer, war Ophüls auf die Idee gekommen, ein bißchen Eins, zwei, drei und ein Gespräch mit Wilder würden dem Film gut anstehen. Im Exposé stand das nicht. „Ich schreibe niemals ein Manuskript. Das ist Präzensur.“ Außerdem weiß er nicht, wen er vor die Kamera bekommt, zweitens weiß er oft nicht, was er fragen wird, und drittens weiß er schon gar nicht, was der Interviewte antwortet. „Also ich wollte nach Los Angeles fliegen und Billy Wilder...“ Sein Gesprächspartner im Renaissance-Theater, Ulrich Gregor, unterbricht ihn: „Billy Wilder hat auch schon hier gesessen“, im Rahmen der Berliner Lektionen. Ophüls erhebt sich, streicht über die gepolsterte Sitzfläche seines Stuhls, setzt sich wieder, strahlt und sagt: „Eine Ehre“. Einmal an der Stelle von Billy Wilder sitzen — man sieht, wie sein Herz hüpft. Und Gregor fragt nach der Bedeutung des Final Cut. Warum Wilder nicht in die Novembertage kam, fragt er nicht. Gregor hält sich an den Fragebogen.

Das Schöne an dieser Szene: Sie macht den Unterschied deutlich. Der Dokumentarfilmer Ophüls haßt Szenen wie diese, klassischen Dokumentarfilm: Frage — Antwort, der involvierte Zeuge und sein nüchterner Interviewer. Talking Heads, Archivmaterial und Off-Kommentar. Ophüls' berühmte Interviewtechnik — er unterbricht, wird heiter oder böse, verhört, treibt in die Enge — ist gar kein Mittel zum Zweck. Sie ist Folge seiner Abneigung gegen das Genre. Nie hat er Dokumentarfilmer werden wollen. Als er mit seinem jüdischen Vater, dem Filmemacher Max Ophüls, und dessen nichtjüdischer Frau 1933 ins Exil ging und 1940 nach Hollywood kam, habe Kurt Bernhardt ihm geraten, er solle nicht studieren, sondern gleich zu MGM gehen. Es sei sein größter Fehler gewesen, nicht auf Bernhardt zu hören und in der Sorbonne Philosophie zu studieren. Der Rest, so Ophüls, war Zufall.

So schade es für ihn sein mag, daß er niemals in Hollywood mit seinen Idolen Wilder und Lubitsch konkurrieren durfte, so sehr hat sein individuelles Pech die Dokumentarfilmkunst bereichert. Marcel Ophüls ist der Komödiant unter den Dokumentarfilmern. Der Ophüls'sche Humor jedenfalls sieht mehr als nüchterne Beobachtung. Und nicht selten rührt dieser daher, daß Ophüls das, was er eigentlich tun will, nicht tun darf. Es sind die Verbote, aus denen er eine Komödie macht.

Zum Beispiel die Geschichte von Le Chagrin et la Pitié, seinem Vierstundenfilm, der die Résistance entmystifiziert und Ende der 60er Jahre im französischen Fernsehen verboten wurde. Vorher hatte Ophüls mit seinem Team den Pariser Mai dokumentiert, auch diese Szenen durften in Frankreich nicht gezeigt werden, die Truppe wurde gefeuert, es kam zum Streik. Le Chagrin entstand dann in Zusammenarbeit mit dem NDR, ja, doch, darin stecke seine antigaullistische Haltung, „und ich weiß nicht, ob da Rachegelüste wegen der Kündigung...“ Ophüls spielt die Komödie vor, blickt betreten auf seine Schuhspitzen, betrachtet seine Fingernägel, feixt, verschmitzt wie ein Schuljunge, der was ausgefressen hat. Andere hätten ein politisches Bekenntnis abgegeben.

Oder Hotel Terminus. „Klaus Barbie ist ein idiotisches Thema für einen Film. Niemand wollte reden.“ Ophüls saß in Paris und guckte sich abends immer Columbo an. Das brachte ihn auf die Idee, daß er diesmal eigentlich Polizeiverhöre führen müsse. Wieder sitzt er nach vorne gebeugt auf seinem Stuhl und sieht nach unten. Die Körperhaltung von Peter Falk. Auch seine Zerstreutheit — „Was wollte ich sagen?“ — ist zwar nicht inszeniert und dennoch wie zitiert. Dann spielt er die komischste Szene aus Hotel Terminus nach, die vergebliche Suche nach dem Barbie- Freund Bartelmus im Gemüsebeet. Und schaut hoch und lacht ins amüsierte Publikum .

Wie interviewt man Nazis? Ophüls' Gespräche mit Tätern sind deshalb so aufregend, weil er sich diese Frage, die ihm alle stellen, selber nie stellt. Für ihn ist es kein theoretisches Problem, höchstens ein praktisches. Zum Beispiel in Novembertage der knurrende Schäferhund von Michael Kühnen. Nicht daß Ophüls keine Prinzipien kennt: Zwar hat er keine Skrupel, einen wie Kühnen für das Interview zu bezahlen, aber den Verbrüderungssekt hinterher, den lehnt er ab. Und wenn ihn eine Gesprächspartnerin wie etwa Barbara Brecht-Schall nachträglich brieflich bittet, das Interview nicht zu verwenden, dann ist es „mein Job, Briefe nicht zu beantworten. Vorher kann sie nein sagen, aber hinterher nicht.“ Ein Berufsethos, das im Journalismus leider als unehrenhaft gilt.

Auch vor Namensnennung scheut Ophüls nicht zurück, vage Anspielungen mag er nicht. Es geht um die Berliner Filmproduzentin Regina Ziegler, die mit der BBC Novembertage koproduziert und den Weltvertrieb innehat. „Sie wollte für die französische Fassung nicht zahlen.“ Daraufhin habe er sie schriftlich als „blöde Ziege“ bezeichnet, jetzt hat er Post von ihrem Anwalt. Und außerdem habe Ziegler die von der ARD geplante Ausstrahlung einer Langfassung des Films am diesjährigen 9.November vereitelt. (Der Sachverhalt ist allerdings komplizierter, als Ophüls es darstellt: Auf Nachfrage der taz erklärt Regina Ziegler, daß sie die deutschsprachigen Rechte im vergangenen Jahr an RTL plus verkauft hat, eine Lizenz für eine zweimalige Ausstrahlung bis spätestens 1994. Solange RTL plus in Besitz der Rechte sei, könne sie über eine weitere Auswertung nicht verhandeln. Auch sei unklar, wer die Langfassung, zum Beispiel für eine Kinoauswertung, finanzieren solle. Alleine die Rechte für die von Ophüls verwendeten Auschnitte aus Filmklassikern kosten mehrere 100.000 DM. Und die französische Fassung sei in FR 3 gelaufen. Ärgerlich ist in diesem Fall also weniger das Verhalten einer Produzentin als eine juristische Situation, die das Zeigen eines Films wie Novembertage eher behindert als fördert). Was die heutigen Filmproduktionsbedingungen angeht, hat Ophüls jedenfalls Mühe, seinen Humor zu bewahren. „Wir haben ein neues Repressionssystem.“ Der Streik von 68 sei gescheitert.

Auch bei Gregors Fragen nach seinem Verhältnis zu Deutschland bleibt Ophüls konkret. Sein französischer Schnittmeister habe bei der Arbeit an Novembertage wie viele Ausländer die Euphorie über die Wiedervereinigung Deutschlands mit großer Skepsis betrachtet. „Da habe ich mich gefragt, wie kann ich dem Albert klarmachen, daß die Deutschen, trotz des Nationalsozialismus, Menschen sind wie andere auch? Und mir fiel ein, daß in Befreiungsnächten besonders viel gebumst wird. Wenn ich das in ein, zwei Interviews klarmache und dann die Befreiung von Paris dazunehme, dann wäre Albert erst schockiert, aber dann würde er es verstehen.“

Und der Berliner Humor in Hollywood, das seien die blonden Frauen und ihre jüdischen Männer. Marlene Dietrich und Billy Wilder. Seine Mutter und sein Vater. „Wie mein Vater waren viele Antinazis, aber prodeutsch, weil sie ihre deutschen Frauen vor den Haßwellen geschützt haben.“ Als Remigrant habe er es leichter in Deutschland als anderswo. Bewußt oder unbewußt seien die Deutschen den Remigranten dankbar, daß wenigstens sie zurückgekommen seien. „Ich habe Fritz Kortner einmal gefragt, warum er sich viel mehr Proben und viel mehr Kräche mit Intendanten leisten kann als andere Regisseure. Er sagte: ,Wiedergutmachung‘.“ Ophüls erzählt die Kortner-Geschichte wie einen Witz. Das Publikum im Renaissance-Theater lacht, lang und laut. Nicht, weil der Witz über das Erbe des Nationalsozialismus hinwegginge, im Gegenteil: Die Erkenntnis über die Unmöglichkeit eines „normalen“ Verhältnisses zwischen deutschen Juden und Nichtjuden ist in ihm aufgehoben. Aber Erkenntnis, lehrt uns Ophüls, indem er uns zum Lachen bringt, ist immer ein Akt der Befreiung.

Das Kino Arsenal in Berlin zeigt an den kommenden Wochenenden die wichtigsten Filme von Marcel Ophüls: Novembertage am 10. 10. um 17.30Uhr (sowie 27.10. um 11.30Uhr); Hotel Terminus am 11.10. um 15Uhr (13.10. um 11.30Uhr) und Le Chagrin et la Pitié am 12.10. um 17.30Uhr (20.10. um 11.30Uhr).

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