: Die Wirtschaft „unerbittlich“ sanieren
■ Argentiniens Wirtschaftsminister will Massenentlassungen auch gegen Proteste durchsetzen
Buenos Aires (ips) — Argentiniens Regierung will die Restrukturierung der Wirtschaft des Landes und dabei notwendige Entlassungen im öffentlichen Sektor auf jeden Fall durchziehen. Auch Demonstrationen würden die Regierung nicht davon abhalten, das Wirtschaftsprogramm „unerbittlich“ weiterzuführen, sagte Wirtschatfsminister Domingo Cavollo am vergangenen Wochenende nach Streiks und Straßenblockaden, mit denen die BewohnerInnen zweier Städte gegen angekündigte Entlassungen im größten Stahlwerk des Landes protestiert hatten.
In der „Gemischten Argentinischen Eisenhüttengesellschaft“ (Somisa), sollen 3.100 von 8.000 Beschäftigten ihren Job verlieren. „Mehr als das notwendige Personal in den Banken, Eisenbahnen und anderen Unternehmen zu beschäftigen, hieße sich am Wohlergehen der Argentinier zu vergreifen“, begründete der Wirtschaftsminister das Vorgehen der Regierung. 60.000 im öffentlichen Sektor Beschäftigte wurden bisher entlassen.
Die BewohnerInnen der Städte San Nicolas und Ramallo, in deren Nähe sich das Stahlwerk befindet, fürchten, daß Somisa vollständig liquidiert werden könnte. Erst im Juli dieses Jahres waren in einer ersten Rationalisierungsetappe 4.500 Arbeitsplätze abgebaut worden. Zehn Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung von San Nicolas sind in dem Werk beschäftigt. Auf jeden dort Beschäftigten kommen noch weitere sieben Arbeitnehmer in vom Stahlwerk abhängigen Betrieben.
Das dem Verteidigungsministerium unterstellte Unternehmen beliefert alle nationalen Rüstungsbetriebe und ist der größte argentinische Stahlexporteur. Sporadische Streiks der im staatlichen Bankensektor Beschäftigten deuten auch auf einen weiteren sich formierenden Konfliktherd für die Regierung hin.
Die Regierung habe immer sorgfältig darauf geachtet, die sozialen Kosten beim Verkauf oder der Liquidation staatlicher Unternehmen auf ein Minimum zu drücken, betonte Wirtschaftsminister Cavallo. Die Veräußerungen würden „ohne Kündigungen“ mit freiwilligen Ruhestandsprogrammen fortgesetzt. Bei Nichtdurchführung von Reformen müsse das Unternehmen „innerhalb von zwei Monaten“ geschlossen werden, sagte der argentinische Vizepräsident Eduardo Duhalde. „Die Firma ist völlig defizitär.“
Um private Abnehmer zu finden, soll sie deshalb erst aus den roten Zahlen gebracht werden. Auch Staatspräsident Carlos Menem hat den Personalabbau bei Somisa öffentlich gerechtfertigt.
Cavallo brachte außerdem die Notwendigkeit der Privatisierung und Restrukturierung der staatlichen Betriebe mit der unmittelbar bevorstehenden Neuverhandlung der Auslandsschulden von 63 Milliarden US-Dollar in Zusammenhang. Sechs Monate nach der Einführung der freien Konvertierbarkeit der argentinischen Währung seien diese Maßnahmen neben der Erhöhung der Steuereinnahmen notwendig zur Budgetsanierung und würden zu „einer guten Neuverhandlung“ der Auslandsschulden beitragen. Im Quartal Juli bis September 1991 seien die fiskalischen Ziele erreicht und ein Haushaltsüberschuß von 800 Millionen US-Dollar erwirtschaftet worden, so Cavallo. Bis Jahresende erhoffe man sich eine Erhöhung auf 1,4 Milliarden US-Dollar.
Die Inflationsrate betrug im September 1,8 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat, gab am vergangenen Freitag das nationale Institut für Statistik (Indec) bekannt. Im August waren es noch 1,3 Prozent. Das Wirtschaftsministerium hatte für September eine geringfügige Erhöhung der Inflationsrate auf bis zwei Prozent prognostiziert.
Cavallo wird als argentinischer Chefunterhändler in der Schuldenfrage am Wochenende nach Bangkok zur Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank reisen. Ein Schuldenabkommen mit dem IWF soll dort erreicht werden. Es ist Vorbedingung für Verhandlungen mit den privaten Gläubigerbanken gegenüber denen Argentinien einen Zahlungsrückstand von acht Milliarden Dollar aufweist. In wenigen Monaten werde das Problem der Auslandsverschuldung jedoch nicht mehr zu den Sorgen der argentinischen Regierung gehören, meinte der Wirtschaftsminister siegesgewiß. Federico Ferber
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