: Wieder Anschlag auf Flüchtlinge
■ Schlafräume bei Anschlag auf Heim in Hückeswagen völlig ausgebrannt/ Bundesanwaltschaft überprüft/ Neusel: Spontane, unorganisierte Angriffe
Berlin (taz/dpa/afp/ap) — Die Anschläge auf Asylbewerber in Nordrhein-Westfalen reißen nicht ab. Im oberbergischen Hückeswagen schleuderten Unbekannte aus einem Personenwagen einen Brandsatz in einen Schlafraum eines Flüchtlingswohnheims. Das Feuer zerstörte das gesamte Erdgeschoß des Heimes. Zwar schliefen zur Tatzeit alle Heimbewohner, doch konnten sie sich dann rechtzeitig vor den Flammen retten. Nach Angaben der Kriminalpolizei mußte ein Asylbewerber mit einem Schock in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Angriffe ausländerfeindlicher Jugendlicher gab es in der Nacht zum Mittwoch auch an anderen Orten in NRW. In Bad Säckingen in Baden warfen Unbekannte eine Scheibe an einem Asylbewerberheim ein. In Sandesneben in Schleswig-Holstein warfen Unbekannte am Dienstag abend einen Stein durch das Fenster eines Wohnwagens, in dem Flüchtlinge untergebracht waren.
Zu gemeinsamen Aktionen gegen Ausländerfeindlichkeit hat die bayerische SPD-Landesvorsitzende Renate Schmidt aufgerufen. Auch die deutsche Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges rief dazu auf, „in jedem Dorf und jeder Stadt“ Solidarität mit den bedrohten Ausländern zu demonstrieren und aktiv zu deren Schutz vor Übergriffen beizutragen.
Die Bundesanwaltschaft prüft, ob es sich bei den Angriffen Rechtsradikaler auf Ausländer um organisiertes Verbrechen handelt. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl meinte, bisher sei noch nicht klar, ob es sich hier um organisierte Kriminalität handelt oder um eher spontane Brutalitäten von Jugendbanden. Der Staatssekretär im Innenministerium, Hans Neusel, ist sich dagegen sicher, daß die Angriffe überwiegend von spontan handelnden ortsansässigen Tätern verübt werden. Nur von zehn Prozent der Täter hätten die Verfassungsschützer Erkenntnisse gehabt. Neusel bezifferte die Zahl der Anschläge auf Asylbewerber oder Unterkünfte von Januar bis September 1991 auf rund 500. Von 299 mutmaßlichen Gewalttätern seien 211 jünger als 20 Jahre gewesen.
Die Deutschen müssen sich nach Ansicht des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler auf ein Leben mit mehr Ausländern einstellen. „Wir werden nicht fünf Millionen, sondern acht, neun, vielleicht zehn Millionen bei uns haben“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einem Interview der 'Zeit‘.
Einen Tag vor dem zweiten Parteiengespräch zum Asylrecht zeichnete sich keine Einigung ab. Während die Union weiter auf eine Änderung des Grundgesetzes pocht, lehnen SPD und FDP dies kategorisch ab. Bundeskanzler Kohl forderte schnelle Maßnahmen gegen den „Mißbrauch des Asylrechts“. „Energisches Handeln unseres Rechtsstaates ist dringend geboten, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit dem Mißbrauch des Asylrechts so schnell wie möglich ein Ende gesetzt wird“, sagte Kohl. Der SPD-Vorsitzende Björn Engholm sagte, mit beschleunigten Asylverfahren könne bereits Anfang 1992 begonnen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen