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Nachdenken auf Algerisch

■ Ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder: Wird es wohl schön werden?/ Durch den Eisenweg eine Schneise in den Wohlstand finden

Montag, 10 Uhr. Der Anblick ist mir bekannt. Die lange Schlange von Menschen vor dem deutschen Konsulat in Algier gehört zum gewohnten Bild der Rue Laperlier, auf den Anhöhen der Hauptstadt Algeriens. Ich trete näher und erkenne Reihen von Pflöcken, die durch Ketten verbunden sind und sich bis zum Tor schlängeln. Ketten und Pfeiler aus Eisen. Wieviele Massenangriffe muß dieses Konsulat schon überstanden haben? Brav und diszipliniert lassen sich die Menschen durch den vorgegebenen Weg pressen. Kein Protest wird laut. Sie kennen das, so ist es nun mal. Da hilft nur schlucken und den Mund halten.

Vor mir zwei schweißgebadete Algerier. »Hast du einen Stift?« Ich reiche ihm einen Kugelschreiber, während sein Nachbar ihm einen Aktenkoffer als Schreibunterlage anbietet. Das Formular wird mühsam ausgefüllt. »Alles da?« lautet die bange Frage, »Nichts vergessen? Einladung der deutschen Firma, Flugtickets, Fotos?« »Mist! Die Fotos! Braucht man die wirklich?«

Ein deutscher Sicherheitsbeamter erscheint auf der oberen Treppe. Sheriffallüren. Finger an seinem Gürtel, an dem eine Pistole hängt. Der ernste Blick schweift über die Menschenschlange. Er verzieht die Miene.

»Bei Allah, wenn es irgendwie ginge, würde ich liebend gern auf diesen Zirkus verzichten«, meint ein alter Mann aus der Reihe. »Recht so! Die Araber haben es verdient. Sie verdienen noch mehr«, erwidert eine jüngere Stimme. Immer wieder dieser Selbsthaß... Ich bin endlich dran und kann einen Blick in die Vorhalle werfen. Der Slalomweg verzweigt sich in der Mitte des Raumes in zwei Richtungen. Er führt buchstäblich bis zu den beiden Sachbearbeitern. Die Zitterpartie beginnt. Ich gehe hinein. Ein junger Beamter unterhält sich mit einer Blondine. Sie sitzt in einer Ecke des Zimmers. Sie will bestimmt kein Visum. Der Beamte ignoriert mich erst und stöhnt. Der Ventilator scheint hilflos zu sein. Diese verdammte Hitze und dieser unendliche Strom von Menschen!

Er bietet mir nicht an, Platz zu nehmen, ich setze mich trotzdem hin. »Passport!« brummt er und deutet auf die restlichen Papiere in meiner Hand. Er stempelt die Einladungen, guckt sich kurz den Paß an, legt ihn beiseite und reicht mir einen Zettel mit der Nummer 63. Ich muß einen Text unterschreiben, wonach sich der Bundesgrenzschutz vorbehält, mich trotz Visum mit dem nächsten Flugzeug nach Hause zurückzuschicken. »Morgen zwischen 15 und 15.30 Uhr abholen«, sagt er bestimmt. Mir scheint die Zeit knapp, aber ich wage es nicht nachzuhaken. Der Ton duldet keinen Widerspruch.

Dienstag, 15 Uhr. Eine lange Menschenschlange hat sich brav und still vor dem Gebäude der deutschen Botschaft gebildet. Ungeduld. Ein geschlossenes Tor sowie ein eisernes Gitter schützen die deutschen Beamten vor einem potentiellen Ansturm. Eine kleine Öffnung im Tor genügt, um den Paß und den numerierten Zettel dem Beamten hinüberzureichen. »345 Dinare!« Ich gebe 350. »Wir haben kein Kleingeld«, sagt die Beamtin trocken. Ich nehme verblüfft meinen Paß entgegen und suche das lang ersehnte und erkämpfte Visum. Da! Das schöne rosa Blatt täuscht. Oberhalb des fälschungssicheren silbernen Medaillons mit der Aufschrift »D« steht: »Drei Monate gültig; Erwerbstätigkeit nicht gestattet, einmalige Besuchsreise...« Egal, die Deutschen in Deutschland sind bestimmt netter als die vom Konsulat... Außerdem feiern sie gerade ihre wiedergewonnene Einheit. Es wird bestimmt sehr schön werden... Mohamed Tilmatine

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