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AUF RUSSISCH GEDACHTEine Handvoll Leben

■ Oder was ist richtig

An einem gewöhnlichem Tag fuhr eine junge Türkin im 248er Bus mit ihren zwei schwarzäugigen Kindern. Jene lachten, stießen sich in die Seiten, balgten sich wie Grünschnäbel, zerrten sich an den Ärmeln und versuchten, den Platz am Fenster zu ergattern. Die Frau, sich über sie beugend, als ob sie etwas zu verbergen suchte, redete die ganze Zeit mit gedämpfter Stimme auf die beiden ein, um sie zur Ruhe zu bringen. Dabei war ihr tief mit dem traditionellen Kopftuch bedecktes Gesicht angespannt und ängstlich. Niemand schaute in ihre Richtung oder lächelte.

In ähnlichen Situationen würden deutsche Mütter ihren Sprößlingen überhaupt keine Beachtung schenken. Was ist das — die unterschiedliche Erziehung oder lag da irgend etwas Unheilvolles in der Luft?

... Dieser Tage bin ich ins Pankower Rathaus gegangen, um mir die dort ausgestellten Kinderzeichnungen anzuschauen. Ich weiß nicht, wer die Ausschreibung zum Thema »Zusammenleben mit Ausländern« organisiert, wer das Thema gestellt und mit Bedacht die Bilder ausgewählt und aufgehangen und die »besten« ermittelt hat. Ein Farbengelage, eine Welt voller greller Kontraste und unerwarteter perspektivischer Verkürzungen. Was es nicht alles auf den 260 Blättern zu sehen gibt! Malerei und Grafik, Plakate und Collagen, — Porträts (sympathische Gesichter, rosa, bronzen, schoko-farbig und gelb, en face und im Profil), auf anderen Genre- und Spielszenen: verschiedenfarbige Figuren, die rennen, springen, sitzen, essen, lernen, schlafen, zu zweit auf einer Schaukel, tanzen, mit der U-Bahn fahren, geschäftig in Läden herumlaufen, im Wasser planschen usw. — es überwiegen Szenen aus dem Alltag, gesehen als einziger Feiertag der Unterhaltung und der Freude. Hier, zum Beispiel, ein Blick von irgendwoher von ganz weit oben — aus einem Hubschrauber? Von einer Wolke? Oder ist es die Sonne, die hinabschaut, was dort unter ihr ist? Dieser blaue, ganz runde See mit grünem Ufer, auf der ganzen Ebene hingeworfene und sich ausbreitende bunte Kreuzchen, Körper im Wasser und ringsherum, im Heu und im Gras — ungebunden und uneingeschränkt. Von den Bildern strömen förmlich Gerüche von Erde, Pflanzen und Feuchte aus, überträgt sich nicht verstummen wollender Lärm und Gelächter. Und fast in einiger Entfernung — ein plötzlicher Bruch — etwas gänzlich anderes: ein loderndes Haus, Chaos der Zerstörung (alles in gelb-schwarz- orangenen Tönen) mit der Unterschrift: »In meiner Heimat ist Krieg«...

Überhaupt gibt es viele Bilduntertexte: erklärende — »Ich habe einen Ausländer zum Freund«, fragende — »Warum können nicht alle Menschen friedlich zusammenleben?«, naiv-sentenziöse — »Alle Menschen sind farbig«, übergreifende — »Wir sind doch alle Kinder und verhalten uns — ganz egal aus welchem Land«, und ganz lapidare — »Falsch-(Kämpfen) — Richtig-(Umarmen)«.

Plötzlich bemerke ich, wie oft sich in den Zeichnungen ein und dasselbe Motiv wiederholt: Hand, Hände. Zeichnungen-Symbole. Ein Ball wird geworfen — von einer Hand in die andere. Reigenspiel — Hand in Hand. Armdrücken. Blumen in der Hand, dem/der anderen gereicht. Und ganz einfach Kinderhände, deren Umrisse Mütter auf einem Blatt Papier aufzeichnen, damit das Kind nach einigen Jahren seine Hand drauf legen kann und stolz behaupten kann: wie ich gewachsen bin! Hier sind zwei: eine helle (»Ich selbst«) und eine gebräunte (»Mein Freund«). Dort gleich vier sich kreuzende, die Finger zum Zentrum weisende Hände. Und hier zwei sich umschlungen haltende.

... Zu Beginn unseres Jahrhunderts erklärte der russische Poet Maks Woloschin einer anderen, 17jährigen russischen Poetin, Marina Zwetajewa, das Ritual und den Sinn des Händedrucks: »Die Hand muß man offen reichen, kräftig drücken, Handteller an Handteller ... weil der Handteller — das ist das Leben.« Und Zwetajewa, bereits in der Emigration, sagte, daß sie gerade ihm die Offenheit und Stärke ihres Händedruckes »und dem damit einhergehenden Vertrauen in die Menschen« verdanke. Weil die Hand das Leben ist. Wie in dem berühmten Dürerschen Gemälde, die göttliche Hand — über die Fingerspitzen — haucht der noch nicht beseelten Hand des gerade erschaffenen Menschen Leben ein. Der Mensch überhaupt, der Mensch unabhängig von Rasse und Nationalität: einfach — der Mensch. Und ist nicht in jeder unserer geöffneten Handfläche wenigstens ein Quentchen von dieser belebenden Kraft? Nicht zufällig vor einem Jahr, als ich nach Berlin kam, habe ich mich anfänglich gewundert und später hat mir die hiesige Sitte gefallen: beim Zusammentreffen selbst mit weniger bekannten Leuten reichte man sich die Hand und drückte diese kräftig. Kein Wort, das diese Geste des Vertrauens und der Sympathie aufwiegen könnte.

... Gegenüber der Philharmonie stieg die Türkin mit ihren beiden Kindern aus, und es wurde still. Die Kinder, bereits auf dem Trottoir, winkten dem weiterfahrenden Bus hinterher — ebenfalls eine Geste des Vertrauens. Was kann sonst noch so hoffnungsvoll stimmen? Maya Elik

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