Unterwandererstiefel gegen Rassisten

Die britische Bewegung organisiert sich neu/ Mehr Übergriffe auf Ausländer seit Thatchers Sturz  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Nichts deutete darauf hin, daß die Veranstaltung gegen „Überfremdung“, zu der rassistische Gruppen im Frühjahr nach Ost-London eingeladen hatten, besonders spektakulär werden würde.

An die kleinen Gegendemonstrationen linker Gruppen vor den Lokalen hatte man sich gewöhnt, die britische Polizei hatte die Lage bisher meistens im Griff. Diesmal kam jedoch alles anders.

Eine Stunde vor Beginn der Manifestation erschienen die Saalordner — zwölf Skinheads in Lederklamotten und Nazi-Emblemen — und baten die Organisatoren und Redner zur Lagebesprechung in einen Hinterraum. Die Besprechung fiel jedoch handfester aus, als die Rassisten erwartet hatten: Sie wurden von den vermeintlichen Ordnern grün und blau geschlagen, gefesselt und in eine Besenkammer gesperrt. Als der Saal gut gefüllt war, verrammelten die „Ordner“ von außen die Türen und machten sich aus dem Staub. Es dauerte Stunden, bis sich Organisatoren, Redner und Zuhörer befreien konnten.

Die gefoppten Rassisten wußten, woher der Wind wehte: Die Aktion war typisch für die „Anti-Fascist Action (AFA)“, eine Organisation, die seit 1985 besteht, jedoch erst seit Herbst 1989 verstärkt aktiv ist. Zwölf ihrer Mitglieder sind für die Operation in Ost-London angeklagt. Da man die Täter wegen ihrer Verkleidung nicht eindeutig identifizieren konnte, griff die Staatsanwaltschaft zum „Verschwörungsparagraphen“ — ein äußerst beliebtes Gummigesetz, das vor allem in Terroristenprozessen angewendet wird. Drei andere AFA-Mitglieder sind bereits zu elf Jahren Haft verurteilt. Sie hatten einen Faschisten im Londoner Stadtteil Kilburn im September vergangenen Jahres vor einen Bus gestoßen.

„AFA ist eine recht zwielichtige Organisation“, sagt Liam McQuaid vom linken Flügel der Labour Party. „Viele Jugendliche sind nur deshalb dabei, weil sie sich gerne prügeln. Allerdings gibt es fünf verschiedene Untergruppen, von denen besonders Red Action inzwischen mehr Wert auf politische Inhalte legt.“

AFA ist die einzige anti-rassistische Gruppe, die landesweit operiert. Sie will der weißen jugendlichen Unterklasse, unter der die Rassisten besonders erfolgreich rekrutieren, eine Alternative bieten. Lokale Organisationen, wie Newhem Monitoring Project, unterstützen die Opfer rassistischer Attacken in ihrem Einzugsgebiet. Die „Campaign against Racism and Fascism“ beschränkt sich dagegen auf den Verkauf ihres Magazins.

Die „Anti-Nazi League“, deren Massenveranstaltungen und Popkonzerte von zahlreichen Prominenten unterstützt wurden, ist Anfang der achtziger Jahre aufgelöst worden, weil die Initiatoren nicht mehr an die Notwendigkeit einer anti-rassitischen Bewegung glaubten. Das Bild hat sich jedoch gewandelt. Die Angriffe gegen Ausländer haben seit einem Jahr stark zugenommen. „Das hängt mit dem Sturz Margaret Thatchers zusammen“, sagt Liam McQuaid.

„Die Rassisten sahen sich von ihr ausreichend vertreten, da sie ständig auf die Gefahr einer ,Überschwemmung durch fremde Kulturen‘ hinwies. Seit Thatchers Rücktritt fühlen sie sich verraten und nehmen ihre Sache selbst in die Hand.“

Damit haben sie auch bei Lokalwahlen Erfolg: Nachdem ein weißer Jugendlicher im Londoner Viertel Tower Hamlet von Bangladeshis durch Messerstiche verletzt worden war, begannen die Rassisten eine Kampagne „Rights for Whites“ und stellten einen Kandidaten auf. Der erhielt zwölf Prozent — das ist immerhin ein Viertel aller weißen Stimmen in Tower Hamlet. McQuaid glaubt, daß Rezession und steigende Arbeitslosigkeit den Zulauf noch verstärken werden: „Ihre Botschaft ist simpel: Es gibt drei Millionen Arbeitslose, und es gibt drei Millionen Nigger in diesem Land.“

AFA setzt dagegen vor allem auf Unterwanderung. Als die Rassisten im März eine Demonstration gegen Ausländer veranstalteten, waren zahlreiche AFA-Mitglieder dabei — als Neo-Nazis verkleidet. Ein größeres Polizeiaufgebot sollte die Demonstration vor etwa 200 linken Gegendemonstranten schützen. Auf dem Kundgebungsplatz zettelten die AFA-Leute plötzlich eine Massenkeilerei unter den rechten Demonstranten an, in die bald auch die Polizei verwickelt wurde. Doch diesmal hofften die Unterwanderer vergeblich auf die Hilfe der Gegendemonstranten: Die waren völlig verblüfft und beobachteten die Prügelei aus sicherer Entfernung.