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„Sich innerlich von der Hölle befreien“

■ Schreiben im KZ: Das Unerträgliche ertragen / Ein Buch von Renata Laqueur

Da saß sie, Blümchenkleid, leicht geschminkt, mit flotter Frisur, Renata Laqueur (72), in der Neustadt-Bücherei am Dienstag abend. Saß da, als sei sie eine ganz normale Frau, die ein Buch geschrieben hat, aus dem sie lesen wollte.

Natürlich ist sie eine ganz normale Frau, aber sie hat unmenschlich gelitten, Unerträgliches ertragen, 1943, 1944, 1945, als Gefangene der SS, zuletzt im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie selbst hat in aller Heimlichkeit im Lager Bergen-Belsen Tagebuch geführt. „Schreiben im KZ“ wird für sie 1944 und 1945 zur Überlebensfrage, wird „die Mauer, die mich schützt vor dem, was da passierte“.

Jahre später, nachdem ihr Tagebuch längst veröffentlicht ist, nähert sie sich dem Thema ein zweites mal: „Schreiben im KZ“ wird für Renata Laqueur ein literaturwissenschaftliches Thema, mit dem sie an der New Yorker Universität in Vergleichender Literaturwissenschaft promoviert (1971). Insgesamt liegen ihr 13 Tagebücher vor, aus den Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Ravensbrück, Dachau Theresienstadt. Eine Sammlung des Grauens, der unmittelbaren Nähe von Gewalt und Tod, nach streng literaturwissenschaftlichen Topoi geordnet: Liebe und Erotik, Tod ohne Würde, Kampf ums Überleben. „Schreiben im KZ“ ist der Titel der deutschen Übersetzung dieser Arbeit, die jetzt im Bremer Donat Verlag erschienen ist.

Warum haben Menschen im KZ Tagebuch geführt? Sie wollten Zeugnisse ablegen von den Greueltaten und sich innerlich von der Hölle befreien, in der sie leben mußten. Sie wollten etwas tun, daß nicht von der SS und... der Welt des Lagers erzwungen war. Sie schrieben für eine Nachwelt, von der sie nicht mehr glauben konnten, sie noch erleben zu können. Wer schrieb, schrieb unter Lebensgefahr, aber er schrieb sich auch frei.

Sätze schreien da, die weh tun beim Lesen: Ich nahm meine Mißhandlung hin wie man einem Fahrschein löst, schreibt einer, und versucht, zu sich selbst eine Distanz aufzubauen, um die Erniedrigung ertragen zu können. Andere schreiben ihre Selbstzweifel auf, und finden allein dadurch die Kraft, weiter zu leben. Ohne Hoffnung leben, ohne Zeit, Tag für Tag. Zerschlagen und trostlos zu Bett gehen, ohne Aussicht auf Befreiung oder auch nur Veränderung. Immer die gleiche Kost essen, immer das gleiche Gewand tragen, die gleiche Arbeit tun, das gleiche Bett bauen, die gleichen Worte um sich hören, immer den gleichen Zaun sehen, die gleichen Türme. Immer den gleichen, trostlosen, elenden Tag vor sich haben mit seinen Ängsten und seien schrecklichen Geschehnissen und immer hoffnungsloser werden...

Und trotz aller Leiden geht das Leben weiter: Witze werden da noch gerissen, Du siehst gut aus, sagt der eine. Ja, lautet die Antwort, aber viel davon ist Ödem. und das in einer Welt, in der die Strohsäcke ordentlich ausgeklopft und „auf Eck“ gelegt werden mußten, während die Kranken daneben hilflos siechten.

Wie lebt man weiter nach so einer Zeit? „Ich wollte nichts mehr wissen von all dem. Ich kam nach Hause und wollte Kleider kaufen und nie mehr schmutzig sein.“ Im Juli 1945 kam Renata Laqueur zurück nach Amsterdam, ihrer Heimatstadt. Dort arbeitete als Modezeichnerin und textete für verschiedene Zeitschriften. Zuvor schrieb sie ihr Tagebuch aber noch zu Ende, im Dezember 1944 hatte sie die Kraft verlassen. Ihr letzter Eintrag datiert vom Vorweihnachtstag 1944:

„Dunkler, hoffnungsloser und bedrückender als diese Adventszeit kann es nicht mehr werden. Wir lachen nicht mehr. Wir erinnern uns nicht einmal mehr daran, daß es so etwas wie Freude gab, daß wir Gefühle hatten. Ich bin jung, kann es ertragen, Alles ist so taub, so dumpf. Ich habe auch kein Heimweh mehr. Ein Weihnachstsbaum, ein Puter? Was soll ich hier mit der Erinnerung an solche Nichtigkeiten? Hier gibt es nichts Festliches. Ich will überleben und dann ausruhen, ein Haus, ein Bett, endlich allein sein.“ mad

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