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Mußehe mit leerer Kasse

■ Bremen: Das kleinste Bundesland steht vor einer Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und FDP/ Grundsatzentscheidung steht/ Erste inhaltliche Verhandlungen sollen Ende Oktober geführt werden

Nach Brandenburg steht jetzt auch Bremen vor einer „Ampelkoalition“ aus Sozialdemokraten, Grünen und FDP. Die Vertreter der drei Parteien, die gestern erstmals zu Koalitionsgesprächen zusammengekommen waren, wollen der Bremer Bürgerschaft auf ihrer Sitzung am 11. Dezember einen rot-gelb-grünen Senat zur Wahl zu präsentieren. Die Grundsatzentscheidung steht, erste inhaltliche Verhandlungen sollen vom 28. bis 31. Oktober geführt werden. Für die Grünen wertete der Bürgerschaftsabgeordnete Ralf Fücks die Koalitionsgespräche als „Abenteuer mit offenem Ausgang“, da die Ampel für keinen der drei Beteiligten die Wunschkonstellation, sondern eine große „Herausforderung“ darstelle. Hauptthema des ersten Treffens war die desolate Finanzsituation des kleinsten Bundeslandes.

Finanzsenator Claus Grobecker (SPD) rechnete den künftigen Koalitionspartnern vor, daß Bremens Haushalt bereits vom nächsten Jahr an (Haushaltsjahr 1993) 140 Millionen Mark mehr Schulden aufweisen werde als Investitionen. Nach der Bremer Landeshaushaltsordnung und nach dem Grundgesetz ist ein solcher Haushalt verfassungswidrig. Und es soll noch enger werden für Bremen: 1994 soll die Differenz zwischen Investitionen und Schulden bereits 324 Millionen Mark betragen, „die Zahlen für 1995 sag ich lieber nicht“, erklärte Bremens Bürgermeister und SPD-Verhandlungsführer Klaus Wedemeier. Sparen auf Teufel komm heraus: So lautet das gemeinsame Regierungsprogramm schon vor Eintritt in die inhaltlichen Auseinandersetzungen für die „Mußehe zu dritt“ (FDP-Fraktionsvorsitzender Claus Jäger).

Wo und wie, daß wollen SPD, Grüne und FDP vom nächsten Montag an bis zum 31. Oktober ausbaldowern. In insgesamt sechs Sitzungen sollen sämtliche Politikbereiche in Bremen auf mögliche Einsparungen abgeklopft werden. „Wir müssen bei den Ausgaben mit einem Skalpell ran“, erklärte zur Feude Wedemeiers und Jägers der grüne Verhandlungsführer Ralf Fücks.

Alle drei Parteien sind sich einig darüber, daß die Hansestadt aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Schuldensumpf gezogen werden kann. Die Hoffnungen ruhen auf Bonn und Karlsruhe: In der Bundeshauptstadt will Bremen eine Teilentschuldung für das Bundesland durchsetzen, in Karlsruhe warten die Bremer auf Mehreinnahmen aus dem Länderfinanzausgleich.

Die Heiratskandidaten haben sich den gesamten November im Terminkalender freigehalten, notfalls mit Marathon-Encounter an Wochenenden, an denen „in Klausur“ die Beziehung diskutiert werden soll. Grundsätzlich sind sich die Parteien aber einig: „Es lohnt sich, weiter zu verhandeln“, erklärte Claus Jäger, und keiner widersprach. Markus Daschner

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