: Ohne Rampe keine Knete
■ Behinderten-Liga inspizierte Geschäftswelt rund um den Savignyplatz
Charlottenburg. Hauseingänge, Bürgersteige, U-Bahnhöfe: nahezu unüberwindliche Hindernisse für die 29jährige Martina Tabak. Sie ist für den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Viele Bereiche des öffentlichen Lebens bleiben ihr versperrt. Vom Kongreßzentrum bis zum Breitscheidplatz soll Martina Tabak demnächst freie Fahrt haben. Unter dem Motto »barrierefreies Berlin« arbeitet das Modellprojekt Kant-/Neue Kantstraße, ins Leben gerufen von der Behinderten-Liga, daran, die Strecke behindertengerecht zu gestalten.
Begleitet vom Charlottenburger Baustadtrat Claus Dyckhoff sowie Vertretern der Senatsverwaltungen für Soziales und Wirtschaft, nahm die Behinderten-Liga gestern die Geschäftswelt rund um den Savignyplatz unter die Lupe. Schon bei der Sparkasse an der Ecke scheitern die Rollstuhlfahrer: eine Treppenstufe versperrt den Zugang. Außerdem kann die Tür vom Rollstuhl aus nicht geöffnet werden. »Für mich ist es lebensnotwendig, in eine Bank hineinzukommen«, sagt Martina Ernst. »Oft kann ich nur laut um Hilfe rufen oder eine Betreuerin mitnehmen.«
Dabei könnte in diesem Fall leicht Abhilfe geschaffen werden: schon für 600 bis 1.200 Mark ist eine mobile Rampe zu bekommen. Die rechtlichen Verpflichtungen, behindertengerecht umzubauen, sind allerdings noch dürftig: lediglich bei Neubauten und genehmigungspflichtigen Umbauten können Geschäftsleute in die Pflicht genommen werden. Ohne den Goodwill der Ladenbesitzer ist nicht viel zu machen.
Außerdem ist behindert nicht gleich behindert: wo RollstuhlfahrerInnen auf abgesenkte Bordsteine angewiesen sind, tapsen blinde BürgerInnen direkt in den Autoverkehr. An der Kant-/Schlüterstraße ist zumindest dieses Problem bereits gelöst. Waschbrettartige Platten warnen Blinde vor der nahen Autospur. Zehn Jahre Zeit hat das Modellprojekt sich gesetzt, die Einkaufsmeile Kantstraße von ihren Barrieren zu befreien — ein gutes Stück Arbeit.
Der italienische Wirt am Savignyplatz sieht das Ganze eher pragmatisch. Leider, leider müßten auch seine Gäste eine Stufe überwinden. Aber seine Toiletten hätte er gerade umgebaut. Behindertengerecht? »Nein, leider nicht. Aber wenn das gesetzliche Pflicht wäre, hätte ich es bestimmt gemacht.« Immerhin war er von der gestrigen Stippvisite so begeistert, daß er der Behinderten-Liga die mitgebrachte Rampe gleich abkaufen wollte und ein ganzes Bündel blauer Scheine aus der Tasche zog. Auf ihre einzige Verbindung zu höher gelegenen Geschäftseingängen mochten die Rollstuhlfahrer dann doch nicht verzichten. Hoffentlich schafft der Wirt nun auch den Weg in den Fachhandel. jgo
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