Thatcher gesteht Fehler ein

Massenentlassungen bei britischen Fernsehanstalten/ Rache für regierungsfeindliche Programme?/ Nun geht es der BBC an den Kragen  ■ Von Ralf Sotscheck

Die vier britischen Fernsehanstalten, die bei der Neuvergabe der regionalen Lizenzen ab 1993 leer ausgingen (siehe taz vom 18.10.), sind die jüngsten Opfer des Thatcherismus. Jetzt haben sie juristische Schritte angekündigt, doch das wird ihnen nichts nützen. Zwar sind sich die Politiker einig, daß die Lizenzvergabe eine Katstrophe war, doch Premierminister John Major will das Gesetz erst nach den nächsten Wahlen ändern. Selbst seine Vorgängerin, die Architektin dieses Gesetzes, hat inzwischen erkannt, was sie damit angerichtet hat. Ausschlaggebend für die ungewohnte Selbstkritik war jedoch die Tatsache, daß unter den Opfern der Lizenzauktion auch ihr politischer Seelenverwandter Bruce Gyngell und sein TV waren. Gyngell verlas öffentlich einen Privatbrief Margaret Thatchers, der per Boten überbracht worden war. „Es ist mir schmerzhaft bewußt, daß ich für diese Gesetzgebung verantwortlich bin“, schrieb die ehemalige Premierministerin. „Sie haben so viel für das gesamte Fernsehen getan. Das scheint nicht beachtet worden zu sein.“

Mehr noch hatte Gyngell für den Thatcherismus getan: Als im Winter 1987/88 die Techniker streikten, entließ er sämtliche 229 Streikenden, führte neue Technologien ein und machte seine Fernsehanstalt zum profitabelsten Kommerzsender Großbritanniens. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet der Mann, der die letzte Gewerkschaftsbastion in die Knie zwang, nun aufgrund eines Thatcher-Gesetzes selbst auf der Strecke geblieben ist. Sämtliche 400 Angestellte werden ihre Jobs verlieren.

Mit Hilfe ihrer Lizenzgesetze wollte Thatcher unliebsame Fernsehanstalten kaltstellen. Im Fall von Thames Television, der größten unabhängigen Anstalt mit Rekordeinschaltquoten, hat das offenbar geklappt. Der Betriebsratsvorsitzende Marc Wadsworth sagte: „Thames ist soeben das verspätete Opfer der SAS-Schüsse in Gibraltar geworden.“ Er spielte dabei auf eine Thames-Dokumentation an, in der die Rolle der Sondereinsatztruppe kritisch beleuchtet wurde: Das Fernsehteam wies nach, daß der SAS vor vier Jahren in Gibraltar drei unbewaffnete Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) erschossen hatte, obwohl diese sich ergeben wollten. Die Regierung hatte damals gegen die Dokumentation scharfen Protest eingelegt. Thames will sich jetzt mit unabhängigen Produktionen durchschlagen, muß aber tausend Angestellte entlassen.

Thatchers Selbstkritik löste bei der Labour Party Häme aus. „Es ist zu begrüßen, daß Frau Thatcher wenigstens einen Fehler endlich eingesteht“, sagte der stellvertretende Vorsitzende, Roy Hattersley. „Zweifellos können wir jetzt weitere Briefe an Tausende andere erwarten, deren Karrieren dank ihrer Regierungspolitik ein jähes Ende gefunden haben.“

Die ehemaligen ITV-Gesellschaften sind jedoch nicht die einzigen, bei denen Entlassungen ins Haus stehen. Im Londoner Innenministerium werden radikale Veränderungen auch bei der BBC diskutiert, wenn deren Konzession 1996 ausläuft. Laut interner Gerüchte sollen bis zu 50 Prozent der Angestellten gefeuert werden. Bob Dunn, Tory-Rechtsaußen und Mitglied des einflußreichen Hinterbänkler-Komitees von 1922, sagte: „Das Biest ist zu groß. Die BBC hat ihre Richtung verloren. Sie braucht einen Neuanfang.“

Die Pläne sehen vor, die Anstalt öffentlichen Rechts in einzelne Sender aufzusplitten. Um den Personalabbau auszugleichen, sollen verstärkt unabhängige Produktionen eingekauft werden. Das nötige Geld dafür müsse zum ersten Mal auch durch Werbung in der BBC herbeigeschafft werden, da die Fernsehgebühren für die Finanzierung nicht ausreichten, hieß es im Innenministerium.

In der Labour Party hält man die geplanten Maßnahmen schlichtweg für Rache: Premierminister John Major hatte die Verantwortlichen in der BBC vor kurzem wegen der „einseitigen Berichterstattung“ über die Tory-Gesundheitsreform gerügt. Labour-Medienexperte Mark Fisher sagte, seine Partei werde die Regierungspläne bis zum letzten Atemzug bekämpfen.