Baumwolle und Erdöl

■ Turkmenistans schwieriger Weg in die Unabhängigkeit

Aschchabad (taz) — Aufbruch in Turkestan: An diesem Wochenende stimmten die 3,7 Millionen Einwohner der mittelasiatischen Sowjetrepublik Turkmenistan über die am 22.August proklamierte Souveränität ab. An dem Ergebnis bestehen keine Zweifel. Bei einer Beteiligung von nahezu 75 Prozent wird mit einer überwältigenden Mehrheit für die Unabhängigkeit gerechnet. Diese Unabhängigkeit in die Tat umzusetzen — dies dürfte den Nachfahren der Nomaden, die bereits in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundert von Rußland unterworfen wurden, alles andere als leichtfallen. Denn bis heute sind die Folgen dieser — wie auch der sowjetischen Herrschaft seit 1925 — deutlich spürbar. So ist die Einführung einer Baumwoll-Monokultur Verursacher ökologischer Katastrophen: Bereits 1989 hatte der Aralsee 65 Prozent seines Wasserstandes verloren, das Trinkwasser wird durch massiven Pestizid-Einsatz mehr und mehr vergiftet. Infektionskrankheiten nehmen zu, Turkmenistan hat die höchste Kindersterblichkeit und die niedrigste Lebenserwartung. Gleichzeitig ist die Abhängigkeit von Rußland groß. Das, was das Land hervorbringt — neben Baumwolle Rohstoffe und Seide — wird nicht selbst verarbeitet, für alle Güter des täglichen Bedarfs ist man auf Importe angewiesen. Allein Erdöl- und Erdgasvorkommen ermöglichten den Aufbau einer chemischen Industrie. Nicht unproblematisch ist es auch, von einem „nationalen“ Bewußtsein der Turkmenen zu sprechen. Denn trotz aller sowjetischen Versuche, das turksprachige Volk mit seiner Vielzahl von Dialekten zu einer „Nation“ zu machen, ist die Gesellschaft weitgehend vom Stammesbewußtsein geprägt. Noch immer leben nur 45,3Prozent der Gesamtbevölkerung in den Städten. Die Mehrzahl dieser Stadtbewohner sind jedoch Russen, allein in der 410.000 Einwohner zählenden Hauptstadt Aschchabad haben sie einen Anteil von 41 Prozent. Der Unabhängigkeitsbewegung geben somit vor allem zwei Kräfte Auftrieb: der wachsende Unmut der Arbeiter und die religiösen Forderungen der sunnitischen Moslems. her