: Traum vom Phönix aus der Asche
■ Ein Brandenburger Traditionsbetrieb für Blechspielzeug sucht einen Investor/ Bis jetzt haben die Aktivitäten der Treuhand dem Betrieb lediglich drei Geschäftsführer beschert und ihn dem Konkurs nähergebracht
Berlin. »Was soll ich Ihnen sagen? Wir werden doch hier die ganze Zeit nur verarscht! Das einzige, das ich sicher in der Tasche habe, ist meine Kündigung zum Jahresende!« Die erboste Arbeiterin vor den Toren der Spielwarenfabrik in der Plauer Straße in Brandenburg bekommt Zustimmung von ihren Kolleginnen. Von den noch verbliebenen 225 Betriebsangehörigen werkeln die meisten bereits in Kurzarbeit, und im Januar wird niemand mehr im Firmenauftrag an den Montagebändern sitzen und die Blechtrucks oder Feuerwehren zusammenbauen, wenn sich nicht bald ein Investor findet, der bereit ist, den Betrieb zu übernehmen und zu modernisieren.
Die Brandenburger Spielwaren GmbH, wie sie sich heute nennt, ist eine der ältesten Fabriken in der Stadt Brandenburg. Bereits 1881 hatte Ernst Paul Lehmann eine Spielzeugfabrik gegründet und nach und nach seine Spielzeugideen umgesetzt. Da er seine Kreationen ausnahmslos patentieren lies, nannte er sein Unternehmen »Ernst Paul Lehmann Patentwerk«, das in den folgenden Jahren mit Spielwaren wie Kletteraffe, Auto-Onkel oder störrischer Esel weltweit für Aufsehen sorgte. Produkte, um die Blechspielzeugsammler sich heute reißen.
Faschismus und Zweiter Weltkrieg brachten der Firma die Enteignung durch die Sowjets. Der verstaatlichte Betrieb blieb der Blechspielzeug-Tradition treu und wurde mit einigen kleineren Betrieben in Brandenburg zum VEB Mechanische Spielwaren Brandenburg zusammengeschlossen, galt jedoch — im Gegensatz zu den Spielwarenbetrieben in Thüringen — als nicht förderungswürdig. Das bedeutete, daß der Betrieb mit keinerlei Investitionen in neue Maschinen zu rechnen brauchte, und daß alle erwirtschafteten Devisen abgeführt werden mußten.
Mit der Währungsunion begann für die Firma ein neue Zeit, heißt es so schön in einer Selbstdarstellung. Die neue Zeit, bedeutete den Zusammenbruch des osteuropäischen Wirtschaftsraumes und damit um die Hälfte weniger Absatz, die Übernahme durch die Treuhand und die Reduzierung der Belgschaft von 665 auf 310.
Im Mai dieses Jahres schöpften die Betriebsangehörigen ein erstes Mal Hoffnung. Eine von der Treuhand beauftragte West Consulting AG (Wirtschaftliche Entwicklungssysteme und Training) hatte in Zusammenarbeit mit Geschäftsführer Heinz Bäcker ein neues Unternehmenskonzept erarbeitet, das von der Treuhand bestätigt wurde und 140 Menschen eine Perspektive im Betrieb geben sollte. Die zu entlassenden Menschen sollten in einer Beschäftigungsgesellschaft mit ABM- Stellen und Umschulungen aufgefangen werden. Den großen Worten folgte das Backen kleiner Brötchen beziehungsweise das Schweigen im Walde. Im Juli wurde von der Treuhand ein neuer Geschäftsführer, ein Herr Walle, eingesetzt, der sich als Zauberlehrling versuchte und sich mit der Belegschaft herumstritt, anstatt die entwickelten Konzepte in die Tat umzusetzen. Ebenso nebulös blieben die Aktivitäten der ständig im Betrieb anwesenden West Consulting, die von der Treuhand den Auftrag hatte, ihr Konzept umzusetzen. Zum 1. September leistete sich die Treuhand dann mit Harri Rollny, einem Ex-Thyssen-Mann, ihren dritten Geschäftsführer in diesem Jahr. Der bescheinigte nach einem ersten Einblick in Betriebsabläufe, Bilanzen und Buchführung auf einer Betriebsversammlung seinen Vorgängern schwere Fehler. Nach vorsichtigen Schätzungen seien etwa drei Millionen Mark sinnlos ausgegeben worden. Vom Unternehmenskonzept sei nichts in Angriff genommen, das Unternehmen vielmehr in Richtung Konkurs gewirtschaftet worden. Es sei ein fingierter Vertriebsplan mit fiktiven Kunden entdeckt worden, der lediglich dazu diente, Absatzzahlen vorzutäuschen. Betriebsangehörige berichten gegenüber der taz, daß eine Hochglanzwerbebroschüre habe eingestampft werden müssen, weil dort für Produkte geworben wurde, die man aus Patentrechten gar nicht produzieren durfte. Überall im Verwaltungsgebäude stehen neu angeschaffte Personalcomputer ungenutzt herum. Statt vernünftiger Software waren den Brandenburgern Raubkopien angedreht worden. Versuche der taz, bei der West Consulting AG — die sich als Briefkastenfirma in Basel entpuppte — eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu erlangen, endeten beim nicht abgenommenen Telefonhörer.
Endlich Perspektiven
Der neue Geschäftsführer entpuppte sich als Mann der Tat. Innerhalb von drei Tagen gründete er eine Beschäftigungsgesellschaft und sorgte für die Eintragung ins Handelsregister. Seit Oktober finden die ersten Fortbildungskurse statt. Sein Plan ist einfach: Die Eigentumsverhältnisse sind durch den Einigungsvertrag eindeutig geklärt. Alles liegt bei der GmbH. Eine Beschäftigungsgesellschaft übernimmt die zum Jahresende entlassenen als ABM-Stellen, zur Umschulung oder zur Weiterbildung. Ein paar Leute halten eine Miniproduktion aufrecht. Damit ist der Betrieb frei von personellen Altlasten. Dann kommt ein Investor, der den maroden Laden wieder aufbaut. In der Zwischenzeit werden die Leute für die neue Spielzeugproduktion in der Beschäftigungsgesellschaft geschult, und nach der Aufbauphase wird ein Teil der Leute in ihrem alten Betrieb wieder eingestellt werden. Die Risiken des Planes: Daß die Verkaufsstrategen der Treuhand statt eines Investors einen Immobilienhai liefern. Immerhin besitzt die GmbH ein wunderschönes Jugendstilhaus und hinten dran 4.000 Quadratmeter in bester Citylage. Aus der Umgebung der Treuhand war zu erfahren, daß bereits für das Grundstück ein Angebot über 5,5 Millionen Mark vorliegt.
Es gibt zumindest einen. Im Juli hat die Nürnberger Spielzeugfirma Ernst Paul Lehmann Patentwerke bekanntgegeben, daß sie ihr 1948 enteignetes Stammhaus zurückkaufen will. Sie hat der Treuhand ein Unternehmenskonzept vorgelegt, das die Übernahme von 50 Mitarbeitern und für die nächsten Jahre Investitionen von 20 Millionen vorsieht. Der Rechtsanwalt der Firma, Peter Herold, sagte gegenüber der taz, daß man schon seit zwei Jahren das Gespräch mit der Treuhand suche. Am 21. Oktober habe man der Treuhand ein Kaufangebot für rund 3 Millionen Mark unterbreitet, welches die Übernahme aller Verpflichtungen einschließt. Jetzt müsse nur noch die Treuhand reagieren. Peter Huth
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