: 15 Jahre Bremer Schnürschuh-Theater
■ Große Fete am Freitag / 15 Jahre Theater für Kinder und Jugendliche mit brisanten Themen
Bremens haltbarste freie Theatergruppe, das Schnürschuhtheater, läuft und läuft und läuft. Das Jubiläum zum 15.Geburtstag ist Anlaß für eine große Tanzfete am Freitagabend im –Modernes'.
An der Hochschule für Sozialpädagogik fing es mit der Truppe im deutschen Herbst 1976 an. Theoretisch beschäftigten sich Studentinnen und Studenten mit dem Theater als politischer Ausdrucksform. Hier glühten die Lehrstücktheorien von Brecht und die Vorstellungen vom Revolutionstheater in China. Im deutschen Herbst 76 aber tobte die Terroristen-Hatz. Links und langhaarig war der Staatsfeind. Auch in Bremer Wohngemeinschaften machte die Polizei schwerbewaffnete Besuche um Terroristen oder deren Sympathisanten zu suchen. Da schlossen sich StudentInnen der Sozialpädagogik zusammen und gründeten die Schnürschuh-Zeitung, Forum für Unterdrückte aller Art.
Das Theater als Mittel der politischen Meinungsäußerung kam kurz darauf hinzu. „Don Quichote in den Straßen“ behandelte die Unterdrückung einst und jetzt und wurde auf dem Rathausmarkt im strömenden Regen uraufgeführt. Auf einer Galeere saßen sie beisammen: Der abhängige Bauer von einst neben dem Fabrikarbeiter; die verfolgte Hexe neben der Frau, die sich gegen den § 218 wehrt. Die folgenden Stücke, mit großem Einsatz in der Freizeit produziert, richteten sich mal an Schulkinder, mal an Jugendliche, und sollten auch für Erwachsene unterhaltsam und erhellend sein.
Vor sieben Jahren, als für die meisten des sozial engagierten Theatertruppe das Studium zu Ende war, beschloß der harte Kern die Professionalisierung zu versuchen. Öffentliche Gelder wurden aufgetan, ABM-Maßnahmen erstritten.
Von den Mitstreitern der ersten Stunde blieben vier, die auch bis heute noch dabei sind. Anfangs hatte die Gruppe sogar noch zusammen gewohnt. Der Einheitslohn ist geblieben. 1.500 Mark pro Nase gibt's im Monat, Überstunden gehören zum Alltag. 120.000 Mark schießt der Senat 1991 zu. Die mutige Themenwahl der theatralischen AutodidaktInnen begründete, auch, den Erfolg von Schnürschuh. Die letzten vier Inszenierungen zum Thema Gewalt erarbeiteten sie zusammen mir Betroffenen, sichteten jede Menge Material und wer in einer Szene gerade nicht auftrat, führte Regie. Die Ergebnisse werden inzwischen nicht mehr nur in Schulen gespielt. Trotzdem werden sie meistens für Kongresse und Tagungen gebucht. Jugendämter und Selbsthilfeinitiativen in ganz Deutschland laden das Schnürschuh-Theater ein, denn sie geben mit ihren plakativen Bearbeitungen Anschauungsunterricht in tabuisierten Themenkreisen. Folglich endet jede Vorstellung einer Diskussion, das gehört sich beim Schnürschuh-Theater so, denn Außenseiter und gesellschaftliche Unterdrückung blieben bis heute das Thema des Schnürschuh-Theaters. Das bisher erfolgreichste Stück war „Püppchen“, das den sexuellen Mißbrauch von Kindern aufgriff. Jürgen Bartsch, der Kindermörder war Thema von „Kind.Mörder.“, der Versuch, die Persönlichkeitsdeformation des Täters als Opfer von Familie und Fürsorge zu dechiffrieren.
Die theatralischen Mittel haben sich im Laufe der Zeit verfeinert, dem Bühnenbild wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Das neueste Kinderstück „Anna und der König, der aus dem Märchen fiel“ ist nach einer Vorlage inszeniert — ein Novum für die Gruppe, die ihr Domizil seit 1989 im Künstlerhaus am Haus gefunden hat. Das politische Engagemment hat das Schnürschuh-Theater nicht verlernt. Sie mischen in der ZOKK mit und betreiben gerade einen Boykott des Stadtmagazins „Prinz“, das erotische Weltliteratur als Anleitung zum Kindesmißbrauch verkauft. Juan
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