: „Wir Wiener für Wien“
Ausländerfeindliches und Lokalpatriotisches bestimmt den Wahlkampf in Österreichs Hauptstadt/ Sozialdemokratie kämpft populistisch um den Erhalt ihrer absoluten Mehrheit/ Haiders radikal rechte FPÖ sitzt allen im Nacken ■ Aus Wien Jan Malek
Geht man dieser Tage durch Wien, drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Stadt gegen eine fremde Übermacht verteidigen muß. Sprüche wie „Wien den Wienern“, „Wir Wiener für Wien“ und „Unser Wien“ begleiten auf Schritt und Tritt und erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, worum es den plakatierenden Herren mit dem Charme von Haushaltsgerätevertretern eigentlich geht: am 10.November finden Gemeinderatswahlen statt. Die Wien mit absoluter Mehrheit regierende Sozialdemokratische Partei (SPÖ), mit Bürgermeister Helmut Zilk an der Spitze, hat sich wie die konservative Volkspartei (ÖVP) und die radikal rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) mit ihrem Parteichef Jörg Haider auf ein Wahlkampfthema geeinigt: die Ausländer.
Die Stadt, die jahrhundertelang Ziel der Ost-West-Migration war und deren Bevölkerung, wie ein Blick in das Wiener Telefonbuch bestätigt, zum größten Teil aus Nachfahren von Einwanderern aus den slawischen Nachbarländern, Ungarn und Italien besteht, hat ihr im Zuge der k.u.k. Nostalgie gerne geleugnete fremdenfeindliche Tradition wiederbelebt.
Daß die Xenophobie so sehr in den Vordergrund der Wahlauseinandersetzungen gerückt ist, liegt nicht etwa an einem Mangel anderer Themen. Die Öffnung der Ostgrenzen hat Wien von einem toten Winkel des „freien Westens“ in die Mitte Europas gerückt und alle damit verbundenen Probleme moderner Großstädte, von denen die Stadt bis dahin verschont gelieben war, mit sich gebracht.
Da gibt es das Problem mit den seit fünf Jahren ins Unbezahlbare steigenden Wohnungsmieten. Nicht die Ausländer, sondern die Aufhebung der gesetzlichen Mietobergrenze für vollausgestattete Wohnungen und die zugleich gewährte kommunale Förderung bei der Sanierung der desolaten Altbaubestände Wiens hat die Preise steigen lassen. Von den günstigen Sanierungskrediten und den erhöhten Mieten profitieren jedoch nur die Hauseigentümer.
Doch die Plakate der ÖVP im bürgerlichen neunten Bezirk mit dem Spruch „Nicht noch mehr Ausländer im Alsergrund“ unter dem Konterfei ihres Spitzenkandidaten Heinrich Willke suggerieren einmal mehr die Schuld der Ausländer an der Wohnungsmisere. Die ÖVP, die in Wien um ihr Überleben als zweitstärkste Partei kämpft, versucht der in allen Umfragen prognostizierten Abwanderung ihrer Wähler in das Lager Jörg Haiders mit dessen Mitteln zu begegnen: politische Demagogie. Die verspricht allen Regeln der Logik zum trotz jedem Verkehrsteilnehmer grünes Licht, kündigte eine Mietensenkung durch Aufhebung der 20prozentigen Mehrwertsteuer an und stimmte dagegen, als die FPÖ den Gesetzesantrag realisieren wollte und versucht vergebens, die offen ausländerfeindliche FPÖ und Haider rechts zu überholen. Mit dieser Wahlkampfstrategie verlor sie schon die letzten beiden Landtagswahlen.
Auch die erst kürzlich von „sozialistisch“ auf „sozialdemokratisch“ umgetaufte SPÖ baut auf Bewährtes. Schon bei der Nationalratswahl im September 1990 versteckte sich die durch Korruption und Machtmißbrauch ins Zwielicht geratene Partei hinter ihrem Spitzenkandidaten Vranitzky und profitierte von dessen Vorzugsstimmen (mit denen die Wähler ihren Kandidaten auf dem Stimmzettel ankreuzen können, ohne gleichzeitig auch bei dessen Partei ein Kreuzchen machen zu müssen).
Der gleichermaßen populäre wie populistische Bürgermeister Zilk bietet der Wiener SPÖ genau jene Mischung aus stadtväterlicher Autorität und kleinbürgerlicher Lauterkeit, die österreichische Politiker gerne gegenüber dem Wahlvolk zeigen. Obwohl Zilk laut Umfragen wieder von einer Mehrheit ausgehen kann, hat er jedes Reizthema vermieden. So verschob er ein in der Wahlkampfzeit anberaumtes Antisemitismus-Symposion des „American Jewish Committees“ (AJC) und lud stattdessen Jerusalems Bürgermeister Teddy Kolleg zu sich ins Rathaus. Selbst den Umfrageergebnissen des AJC, nach welchen immerhin 30 Prozent der Österreicher eine antisemitische Einstellung haben, kann Zilk nur die gute Seite abgewinnen, daß „70 Prozent der Befragten keine oder nur geringe Vorurteile gegen Juden“ hätten.
Auch die Grünalternativen (GAL) haben sich nach enttäuschenden Wahlniederlagen auf einen Persönlichkeitswahlkampf eingelassen. Ihr Spitzenkandidat Peter Pilz, der einzige weitbekannte österreichische Grünpolitiker, versucht vergebens die Spaltung des Wählerpotentials durch die von der SPÖ unterstützte zweite Grünpartei VGÖ (Vereinigte Grüne Österreichs) aufzuhalten. Da hilft es auch nichts, als einzige Partei einen sachbezogenen Wahlkampf zu führen. Sollten die Grünen bei den Wiener Wahlen die Fünfprozentgrenze wieder nicht erreichen, sind sie in ihrer Existenz gefährdet. Während Zilk sich lieber auf dem Fahrrad fotografieren ließ, haben die Grünalternativen als einzige Partei konkrete Stadtplanungsprojekte zur Disposition gestellt.
Die Antwort der FPÖ auf die städtischen Probleme ist weitaus simpler. Unter der dürftigen Bezeichnung „zeitgemäß“ formulierte sie ein Wahlprogramm gegen die „Überfremdung Wiens“. Wie schon bei den beiden vergangenen Landtagswahlen kandidiert Haider nicht einmal in den Gebieten, in denen er als Wahlkampfpromotor auftritt.
Wie irrational die Angst vor einer „Überfremdung“ ist, läßt sich anhand der Fakten nachweisen. Offiziell gab es 1990 in Wien einen Ausländeranteil von 13,2 Prozent. Nach inoffiziellen Schätzungen liegt der Anteil um die 20 Prozent, wovon mehr als zwei Drittel schon seit Jahren als Gastarbeiter in Wien leben. Zudem ist das österreichische Ausländerbeschäftigungsgesetz eines der restriktivsten in Europa. Es unterscheidet drei Klassen von Arbeitswilligen, von denen die verbreitetste, die sogenannte Beschäftigungsbewilligung (BB) den Arbeiter völlig an die Firma, der die BB ausgestellt wird, kettet. Dieser restriktive Zugang zum Arbeitsmarkt drängte zahlreiche Ausländer in die Schwarzarbeit.
Sowohl am Arbeitsmarkt als auch im Schulwesen waren es Versäumnisse der Politiker, die die Entwicklungen der letzten Jahre, für deren Folgen sie im Wahlkampf die Ausländer verantwortlich machen wollen, verschlafen haben. So hat der Arbeiterbezirk Ottakring mit 46,75 Prozent den höchsten Anteil ausländischer Pflichtschüler in Wien. Doch erst nach heftigen Protesten der Eltern reagierten die Schulbehören mit einem auf die ausländischen Schüler abgestimmten Lehrplan.
Die Wiener Gemeinderatswahl zeigt deutlich, daß es der Haider- FPÖ mit ihrer unverhohlenen Ausländerfeindlichkeit und geschickten Rehabilitierung faschistischen Sprach- und Gedankenguts in wachsendem Maße gelingt, das politische Klima in Österreich zu bestimmen.
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