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50 Millionen tote Raucher?

Hongkong (afp/taz) — Nach dem Rückgang des Zigarettenkonsums in Amerika und Europa hat der asiatische Markt für viele multinationale Konzerne eine wichtige Ersatzfunktion übernommen, aber auch hier sind die Verfechter einer vorsorgenden Gesundheitspolitik inzwischen auf der Hut.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat kürzlich in einem Bericht die Alarmglocken geläutet und den millionenfachen Krebstod von Asiaten infolge Rauchens vorausgesagt, da der Tabakgenuß auf diesem Kontinent weiter zunimmnt. Die einflußreichen multinationalen Tabakgesellschaften argumentieren, daß ihre Industrie für mehr als 20 Prozent der Regierungseinnahmen in dieser Region sorge und 80 Millionen Menschen beschäftige. Wirtschaftswachstum und die Entscheidungsfreiheit stünden auf dem Spiel, sagen die Tabakmultis — eine menschliche Tragödie massenhaften Ausmaßes, behauptet die Gegenseite.

Während in den westlichen Ländern der Trend längst vom Rauchen weggeht, ist es in Asien umgekehrt. In nur wenigen Ländern gibt es gesetzliche Restriktionen, mit den bemerkenswerten Ausnahmen Hongkong und Singapur. In beiden Stadtstaaten gelten seit 1970 strenge Anti- Rauch-Bestimmungen. Die Regierungen sind heute stolz auf die niedrigsten Raucherquoten in der Welt, jeweils um die 15 Prozent.

Das andere Extrem sind Indonesien, die Philippinen und Indien. In Indien verdient die Tabakindustrie im Jahr eine Milliarde Dollar, und die Produktionskurve weist weiter nach oben. Siebzig Prozent der Männer und dreißig Prozent der Frauen rauchen Zigaretten. Restriktionen sind im Parlament vorgeschlagen worden, doch die indische Tabakindustrie, die 30 Millionen Menschen beschäftigt, hat mächtige Verbündete im Arbeits-, im Handels-, im Agrar- und im Finanzministerium. Wenig wirksame Anti-Rauch-Auflagen gibt es auf den Philippinen: Ein Gesetzgebungsvorhaben zur Verschärfung der Einschränkungen hängt im Parlament fest, während die Raucherquote steigt und Rauchverbote auf öffentlichen Plätzen nur Hohn und Spott ernten.

China, der größte Tabakproduzent und -konsument der Welt, steht natürlich in vorderster Linie des „Kriegs ums Rauchen“. 300 Millionen Chinesen rauchen. Am 1. Januar soll das erste chinesische Anti- Rauch-Gesetz in Kraft treten: Zigarettenwerbung soll aus den Medien verbannt werden, Rauchen an öffentlichen Plätzen soll eingeschränkt werden, schließlich werden Tabak- Ex- und -Importe sowie das Wachstum des staatlichen Tabakmonopols reguliert.

Die multinationalen Konzerne haben mit einem Marktanteil von zwei Prozent gerade den großen Zeh in der Tür dieses Schlüsselmarkts. Bis Ende des Jahrhunderts wollen sie ihren Anteil in China auf 18 Prozent steigern — ein nicht unrealistisches Ziel, denn schon heute ist eine Marlboro-Schachtel so etwas wie ein Statussymbol für den weltoffenen jungen Pekinger. Die Ärztin und WHO- Beraterin Dr. Judith MacKay aus Hongkong sagt indes voraus, daß mindestens 50 Millionen der zur Zeit in China aufwachsenden Kinder an Folgen des Rauchens sterben werden. Mit solchen Zahlen warnen denn auch die Anti-Rauch-Aktivisten vor den neuen „Rauchkriegen“, die ohne einen Schuß mehr Opfer fordern werden als der militärische Opiumkrieg des vergangenen Jahrhunderts.

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