: Täglich schlagen in Dubrovnik Granaten ein
Auch Flüchtlingshotels von der Artillerie beschossen/Die Kroaten halten nur noch die Stadt, einen Vorort und einen Berg ■ Aus Dubrovnik Ivo Standeker
Der Krieg ließ ihnen keine Chance. Pero Stjepovic ist achtzehn. Seine gleichaltrige Freundin war aus dem umkämpften Slawonien nach Mokosica, einen Vorort Dubrovniks, geflüchtet. Dort hatten sie sich kennengelernt. Eine Mine, die vor dem Schutzbunker einschlug, tötete die junge Frau und acht weitere Menschen, die den sicheren Ort nicht mehr rechtzeitig erreichten.
Noch wird Mokosica, das von Dubrovnik nur durch eine etwa 500 Meter breite Meeresbucht getrennt ist, von kroatischen Truppen kontrolliert. Doch auf dem Berg just über dem Ort haben sich die Tschetniks verschanzt. Nach Belieben schießen sie auf den Mokosica, auf die kroatischen Linien und auf Gruz, das Hafenviertel von Dubrovnik. Jeden Tag böllert die Artillerie Granaten über Mokosica hinweg.
Peros Freunde sind alle nach Dubrovnik geflüchtet. „Das sind nicht mehr meine Freunde“, sagt er nun verbittert, „mein Freund kann nur sein, wer bei mir bleibt.“ Seinen Vater und seine Mutter hat er in ein Hotel in die Stadt gebracht. Er selbst wartet nun auf den Bus, der ihn nach Mokosica zurückbringt. Der Bus ist ein langer gepanzerter Wagen, schaut recht solide aus, nur überall diese kleinen Einbuchtungen dort, wo eben Geschosse eingeschlagen sind. Irgendwo in einer Ecke des mit Tarnfarbe bemalten Fahrzeuges ist das Namensschild: Majsan, zu deutsch: Maitraum.
Mokosica ist nahe, nur um die Bucht herum, doch ohne Maitraum erreicht man es nicht. Am Ende der Bucht liegen der Jachthafen und das Pumpwerk, beide zerstört. Zwei Ingenieure, die das Wasserwerk wieder instandsetzen wollten, wurden am ersten Tag ihrer Arbeit erschossen. Seither macht sich niemand mehr an eine Reparatur. Links neben dem Pumpwerk erhebt sich ein senkrechter Felsen, der „Taubenstein“. Von dort oben kann man die ganze Bucht überschauen, und von dort wird geschossen.
„Alle haben gelacht, als wir das Panzerfahrzeug herstellten. Sie sagten, wer braucht denn so was!? — Fünf Tage später begann der Krieg.“ Miso Kocelj sitzt breit im Pilotsitz seines „Maitraums“ und lädt jeden Abend vor der Polizeistation in Dubrovnik alles auf, was nach Mokosica geht: Menschen, eine Handvoll Nationalgardisten, Lebensmittel und Munition, einen Arzt, der seinen Kollegen in Mokosica ablöst. Brot ist diesmal nicht dabei, weil gerade eine Granate die einzige Großbäckerei Dubrovniks getroffen hat. Wenn der Maitraum durch die Nacht donnert, sind alle Insassen schweigsam, nur Miso flucht ab und zu. Er schaut angestrengt durchs Guckloch, fährt ohne Licht, und als das Fahrzeug dann in Mokosica schnaufend ankommt, verschwinden alle Passagiere in die Nacht. Andere drängen sich schon ins gepanzerte Mobil, die dringend nach Dubrovnik wollen. Ein Mann mit entzündetem Blinddarm, eine Mutter mit ihrem kranken Kind und viele, die es in Mokosica einfach nicht mehr aushalten.
Letzte Woche kam der Konvoi mit Stipe Mesic, dem Vorsitzenden des faktisch nicht mehr existierenden Staatspräsidiums, nach Dubrovnik. Doch geändert hat sich nichts. Man ißt aus aufgeweichten Papptellern, und bei der Wasserverteilung bleiben viele mit leeren Flaschen und Eimern zurück. „Wenn der alte Brunnen in zehn Tagen noch etwas hergibt, fresse ich einen Besenstiel“, brummt der Fahrer der städtischen Wasserwerke. An der Küste wird überall gesägt, und der einzige Hügel über der innerstädtischen Bucht von Lapad ist bereits abgeholzt. Man braucht Holz, um sich im Freien etwas zu kochen. Zudem wärmt das Feuer. Winterkleidung ist rar, und viele Flüchtlinge sind in Sandalen nach Dubrovnik gekommen.
Manche hegen noch Hoffnung, daß ihr Haus noch steht. Doch in den Vororten der Stadt, die jetzt feindliches Gebiet und also so unerreichbar wie der Mond sind, seien neunzig Prozent der Häuser zerstört, sagt Polizeichef Djuro Korda, „und das fürchterlichste ist, daß es unsere Nachbarn aus den serbischen Gemeinden der nahen Herzegowina und Montenegros waren, die alles demolierten. Die Armee rückt vor, und sie plündern alles aus.“
Djuro Kolic, parteiunabhängiger Abgeordneter im Gemeindehaus und Wortführer des Verhandlungsausschusses von Dubrovnik, ist sich nur noch über eines sicher: Er will Dubrovnik für keine andere Stadt auf der Welt eintauschen. Sein Gegenüber von der Armee, Oberstleutnant Radoslav Svicevic, der sich mitunter auf fruchtlose Verhandlungen mit der ganz und gar unkriegerischen Stadt einläßt, hütet auch einen Wunsch. Während der Gespräche kritzelt er auf einem Papier herum. Er zeichnet eine kleine Festung mit vier Türmen: Dubrovnik. Er will die Stadt einnehmen. Im Weg steht ihm nur eine Schar Kroaten, die zwar über wenig Waffen verfügen, aber zu allem entschlossen scheinen. Vor zwei Tagen haben sie irgendwo drei Maultiere requiriert, mit denen sie Vorräte auf den Berg Srdj über der Stadt bringen. Es ist der einzige Berg, der den kroatischen Verteidigern noch geblieben ist. Dort hocken sie in einem Kellergewölbe beim Feuer zusammen und machen sich Mut. Zwanzigjährige. „Wir geben nicht auf, bevor ganz Kroatien frei ist“, sagt Denis in ihrer aller Namen. Jeden Tag werden sie bombardiert.
Schon um fünf Uhr abends sind unten am Fuß des Berges die Straßen leer. Die Polizeistunde wurde vorgezogen. Es blitzt auf, einmal, zweimal, dreimal, dann ein Knall: kleine Feuerchen, leuchtende Linien, dann wieder ein Knall, diesmal dumpf, von den Schlachtschiffen her, die draußen vor der Stadt vor Anker liegen. Im Ortsteil Nuncijata, über dem Hafen der Stadt, brennt der Wald. Feuerwehrleute kommen, doch sie werden sofort unter Feuer genommen, von der anderen Seite, vom Berg über Mokosica. Der Feuerwehrwagen zieht wieder ab.
Auf der Halbinsel Babin Kuk, die mit ihren großen Hotelkomplexen zum Stadtgebiet Dubrovniks gehört, schlagen Geschosse ein. Aus dem Hotel Tirena werden fünf verletzte Flüchtlinge herausgetragen. Ob die Granate auch Todesopfer gefordert hat, weiß niemand. Es ist stockdunkel. Wenig weiter ist eine Frau verunglückt, die mit vier Kindern in ihrem Auto vor dem Geschoßhagel geflüchtet ist. Alle tot. Es ist Montag (4.11.), und bis zum Mittag sind schon einige hundert Granaten eingeschlagen. Seit gestern beschießt die Artillerie die Stadt auch schon am Vormittag. Bislang hatte sie nur nachts angegriffen, wenn die Leute in ihren Kellern waren. So bleiben die Leute nun auch tagsüber zu Hause. Nur wenige schleichen die Mauern entlang. Die Schützen stehen auf den Berghängen — dort wo schon viele Fotografen standen, ganz Dubrovnik zu ihren Füßen, um die Bilder vom historischen Dubrovnik, der Perle der Adria, zu schießen, die auf Ansichtskarten in alle Welt versandt wurden. Doch die Welt — so befürchten viele hier — hat Dubrovnik längst vergessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen